Analogien, Additionen, Konfrontationen

by Kristin Schmidt

Birgit Werres transformiert Alltags- und Industrieobjekte mit gekonnten Eingriffen und Platzierungen und arbeitet die ästhetischen Qualitäten der Materialien heraus. In der aktuellen Ausstellung in der Kunstzone der Lokremise St.Gallen nehmen ihre Werke den Dialog mit anderen Arbeiten aus der Sammlung Rolf Ricke auf.

St. Gallen — Der Coup war gelungen: 2006 erwarben das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, das Kunstmuseum Liechtenstein und das Kunstmuseum St.Gallen gemeinsam die Sammlung Rolf Ricke und begannen auf dieser Basis eine neue kontinuierliche Zusammenarbeit. Die Werke von Bill Bollinger, Gary Kuehn, Steven Parrino und Zeitgenossinnen und -genossen wurden auf die drei Häuser verteilt; gegenseitig besteht ein unkomplizierter und reger Leihverkehr. Dadurch wird die Sammlung immer wieder zur Quelle umfangreicher Themen- oder Einzelausstellungen wie etwa «Primary Structures» 2017 in Frankfurt, «Steven Parrino – Nihilism Is Love» 2020 in Vaduz oder jetzt «Birgit Werres – Let´s play it, Rolf!» in der Lokremise St.Gallen. 

Birgit Werres (*1962) hat die Ausstellung mit Rolf Ricke zusammen konzipiert. Beide haben ältere und jüngste Arbeiten der deutschen Künstlerin solchen verschiedener Sammlungskünstler und einer -künstlerin zur Seite gestellt. Im grossen Raumvolumen sind zwar nicht die angekündigten «raumgreifenden Installationen» entstanden, sondern eher eine lockere Zusammenstellung von Einzelstücken. Doch gerade durch die in alle Richtungen ausbalancierte Präsentation sind vielfältige Bezüge möglich. Beispielsweise Werres´ zu einem einzigen Zylinder gepresste zehn Fässer «o.T., # 42/21» von 2021: Sie sind Einzelwerk attraktiv mit ihren abgeblätterten Industriefarben und den metallenen Falten, die sogar neben den spätgotischen Holzplastiken Veit Stoss´ oder Tilman Riemenschneiders bestehen würden. Formal nehmen sie sowohl einen Dialog auf zu drei Fässern von Jeffrey Wisniewski (*1964), in denen sich letzte analoge Handelsbelege der New Yorker Börse befinden als auch zu «Red Hook», 1970 von Bill Bollinger, das mit vier Stahltonnen, Wasser und drei Schläuchen ein materielles Spannungsfeld aufbaut. Auch farbliche Nachbarschaften fallen mehrfach ins Auge. 

Besonders markant stehen zwei 1´500 Liter Polyaethylen-Tanks im Raum. Birgitt Werres lässt in diesen beiden mannshohen Industrieprodukten ursprünglich «amtlich zugelassen für Heizöl und Dieselkraftstoffe» LEDs leuchten. Zwar prangen noch die Seriennummer und die amtliche Prägung auf diesen beiden Kanistern, aber ihre Dualität und das Licht sorgen für eine Transformation. Letztere ist ein häufiges Moment in Werres´ Arbeiten mit industriellen Materialien und Objekten und könnte sogar noch stärker ausfallen, wäre die Ausstellung nicht im ehemaligen Lokomotivdepot mit seinem Werkhallencharakter gezeigt worden, sondern in musealem Ambiente.