Anna Diehl, Signs of Being Alive, 2021

by Kristin Schmidt

Die Landschaft ist weit, die Horizontlinie tief. Die Vogelperspektive lässt alles in die Ferne treten. Die Strassen, die Siedlungen, die Häuser, die Menschen darin – alles ist weit weg gerückt. Und doch bleibt es nahe: Jeder Mensch, der aus dem Flugzeugfenster auf die Erde blickt, hat auch ein Leben dort unten, hat Nachbarinnen und Nachbarn, ein Umfeld, in dem er sich bewegt, fühlt und denkt. Jede Aufnahme, die aus dem Bullauge einer Flugzeugkabine gemacht wird, schlägt eine Brücke zwischen diesen beiden Welten. Sie erzählt von dem Moment, in der Luft und woanders zu sein, aber zugleich um die unlösbare Verbindung zur eigenen irdischen Existenz zu wissen.
«Signs of Being Alive» steht in geschwungenen grossen Buchstaben über den Fotografien von Himmel, Wolken und der darunter liegenden Landschaft. Vier Einzelbilder sind es, aneinander gefügt zu einem langen Querformat oder einem schmalen Hochformat. Poster oder Umschlag? Hoch oder quer? Anna Diehl untersucht in ihrer künstlerischen Arbeit, wie sich persönliche Erfahrungen, Gefühle und Fragen so ausdrücken lassen, dass auch gesellschaftliche und politische Phänomene damit thematisiert werden. So verknüpft die in Teufen geborene und in Basel lebende Künstlerin ihren eigenen Bilderkosmos mit selbst geschriebener Poesie und Prosatexten. Zusammengeführt wird beides in einer Publikation für ihre Ausstellung in der Kunst Halle Sankt Gallen im Rahmen vom alle drei Jahre stattfindenden «Heimspiel». Anna Diehls zeitgleicher Auftritt im aktuellen Obacht kann einerseits für diese Publikation als Buchumschlag verwendet werden. Andererseits ist «Signs of Being Alive» ein eigenständiges Objekt und kann als Poster aufgehängt werden. Anna Diehl spielt mit Format, Zweck, Schrift, Text und Bildmaterial. Die Künstlerin spannt damit einen Denkraum auf: die Weite des Bildraumes lässt die Blicke schweifen, die markante, leuchtend rote Schrift fängt sie wieder ein, um durch den Inhalt des Textes die Gedanken auf eine erneute Reise zu schicken. Was sind die Zeichen des Daseins? Sind sie für jeden anders? Oder können sie aus dem individuellen Raum heraustreten und eine Empfindung beschreiben, die nicht mehr an eine Person gebunden ist? Eine geschlossene Wolkendecke, darüber der blaue Himmel, darunter das Leben – individuell und doch stets in einem gesellschaftlichen Kontext.

Kulturmagazon «Obacht Kultur» N° 41, 2021/3