Kann die Kunst der Natur helfen?

by Kristin Schmidt

Steigende Meeresspiegel, Waldbrände, Korallenbleiche, verödete Landstriche aufgrund von Rohstoffabbau, Monokulturen, Abholzung – Fotografien davon bleiben auf Distanz: Sie sind schnell verdrängt und vergessen. Die Kunst hingegen kann eine eindringlichere Sprache finden.

Die Kubatur, die zu klimatisierende Fläche, der Wärmeverlust alter Gebäudehüllen – Museen und Kunsthäuser halten einem strengen ökologischen Blick nicht immer stand. Einen gültigen Kommentar zur Klimadiskussion können sie trotzdem liefern. Neben der Wissenschaft und deren breiter medialer Präsenz ist die Kunst eine weitere notwendige Stimmen im aktuellen Diskurs. Wie bei gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen setzt die Kunst auch in der ökologischen Debatte einen eigenständigen Akzent. Künstlerinnen und Künstler operieren mit starken visuellen und inhaltlichen Argumenten. Dies funktioniert umso schlüssiger, wenn es mit wissenschaftlichen Kenntnissen einhergeht und von echtem Verständnis und Interesse getragen wird. So gibt sich Otobong Nkanga nicht der weit verbreiteten Illusion hin, Energie könne erneuert werden. Stattdessen arbeitet sie die Realität heraus: Energie kann weder entstehen, noch verschwinden. Der Mensch ist Teil eines grossen energetischen Kreislaufs. Greift er in natürliche Abläufe ein, so bleibt dies nicht folgenlos. Ressourcen wie Bodenschätze und intakte Biotope sind Teil eines komplexen Systems. Ihr potenzieller Wert ist nicht isoliert zu bemessen, sondern nur abhängig von vielen anderen Faktoren.
Otobong Nkanga lebt in Antwerpen. Geboren ist die Künstlerin 1974 in Kano in Nigeria. Sie studierte Kunst zuerst in Ife in Nigeria und anschliessend an der Akademie in Paris. Seither sind ihre Arbeiten in international renommierten Institutionen und Grossausstellungen zu sehen, darunter in der Tate Modern in London, dem Stedelijk Museum in Amsterdam, den KW in Berlin, an der Biennale Venedig, der Biennale Sydney und an der vergangenen Documenta in Athen und Kassel. Es ist fast schon folgerichtig, dass Nkangas Arbeiten nun im Kunsthaus Bregenz zu sehen sind, hat das Haus sich doch den Ruf erarbeitet, international bedeutende Positionen zu präsentieren und nicht nur das: Immer wieder ermöglicht es die Vorarlberger Institution den Künstlerinnen und Künstlern, neue, eigens für das Haus entwickelte Installationen zu realisieren. Das hat sich einerseits zum Markenzeichen etabliert, ist aber andererseits der Architektur des Kunsthauses geschuldet.
Der formalen Strenge, Kraft und Klarheit von Peter Zumthors Gebäude lässt sich nur bedingt mit Standardausstellungen antworten. Stattdessen fordert es heraus, mit der Sprache des Baus in einen Dialog zu treten, sie neu zu interpretieren oder sie für die eigene Arbeit fruchtbar zu nutzen. Otobong Nkanga hat sich für letztgenanntes entschieden. Die Künstlerin fasst alle vier Stockwerke des Hauses mit grosser Geste zusammen. Die Menge der Materialien dafür ist gewaltig und wird, so versichert das Kunsthaus Bregenz, nach dem Ende der Ausstellung weiterverwendet oder in die Natur zurückgebracht: über 50 Tonnen Lehm, Sand, Erde und eine abgestorbene Weisstanne von 33 Metern Länge. Da sind die insgesamt 14 Meter langen Stücke eines 6 Meter breiten Wandteppichs mit 140 Farbtönen beinahe schon Beiwerk. Tatsächlich aber sind sie der Schlüssel dieser Ausstellung. Sie wurden eigens für die gewaltigen Betonwände des Kunsthauses angefertigt in Zusammenarbeit mit dem TextielMuseum im niederländischen Tilburg. Sie sind aufwendig hergestellt, prachtvoll, reich an Farben und Materialien. Das Sujet jedoch unterläuft die Schönheit.
Die Tapisserien zeigen über die vier Etagen hin einen Schnitt durch die Welt vom Grund des Ozeans bis hinauf zum brennenden Wald. Ohne sich in Naturalismus zu verfangen, sondern in einer eigens entwickelten Ästhetik erzählen sie eine Geschichte der Ausbeutung: Bodenschätze werden heraufgeholt, Fischernetze durchschneiden das Blau, menschliche Körperteile sinken herunter oder verfangen sich in den Netzen. Dem Drama des Meeres antwortet zuoberst die Erdoberfläche in flammenden Rottönen. Den verbrannten Wipfel der Weisstanne hätte dieses Bild kaum noch gebraucht, um von der erhitzten Erde zu erzählen. Der Baumstamm ist so eingepasst in alle Stockwerke, dass er nicht aussieht wie zersägt, sondern als dringe er selbst durch Decken und Böden hindurch vom Erdgeschoss bis ins dritte Obergeschoss. Dort ist nicht nur die Baumtorso verkohlt, sondern zudem sind Erde und Lehm zu einer Kraterödnis aufgehäufelt – ein ebenso expliziter wie drastischer Verweis, was der Raubbau an den natürlichen Ressourcen anrichtet. Otobong Nkanga beherrscht jedoch auch die leiseren Töne: In Glaskugeln richtet sie kleine autonome Biotope ein. Hier sollen Keimlinge der Weisstanne gedeihen – gibt es also noch Hoffnung?