Bilder finden, ohne zu suchen

by Kristin Schmidt

Das Kunstmuseum Thurgau zeigt die Ausstellung «MONDIA» von Harald F. Müller. Der Künstler lädt zu einer Reise durch Farbräume und Bildwelten ein.

Harald F. Müller untersucht Farben und Bilder – das mutet zunächst einmal wenig aufregend an. Farben und Bilder gibt es schliesslich überall. Aber genau da beginnt Müllers Arbeit. Der in Singen lebende Künstler analysiert beides umfassend: Wo und wie bewusst wird Farbe eingesetzt? Wie präsent sind Farbe und Bilder? Welche Wechselwirkungen treten auf und wodurch werden sie beeinflusst? Müller beschäftigt sich sowohl mit Gemälden grosser Meister wie Tizian, Cézanne oder Matisse als auch mit Farben und Bildern im Alltag: Ein Rücklicht, ein Hoftor, Autokennzeichen, ein Gabelstapler – alles ist farbig, man muss nur hinschauen.

Farbe überall

Harald F. Müller schaut hin. In seiner aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau in der Karthause Ittingen zeigt er auf drei Monitoren Videoaufnahmen von Brachen, Industriegebieten und Hafenanlagen. Gefilmt sind sie aus einem Auto heraus, untermalt mit der Musik aus dem Autoradio: ebenso beiläufig und doch passend. Ein roter Lastkraftwagen kommt ins Bild, ein blauer, dann der blaue Himmel über grauem Beton. Mal übernimmt der Himmel die Rolle der Farbe, mal der Sonnenschutzstreifen an der Frontscheibe. Durch die Kamera des Künstlers wird die Rückseite eines blauen Überseecontainers ebenso zum Gemälde wie die Streifen einer Flagge. Die Dinge sind weniger Gegenstand als Farbe. Der Alltag zeigt seine gestalterische Qualität. Auch die Schrift gehört dazu. «Asmobax» und «Attrans» steht auf vorbeifahrenden Transportern. Diese abstrakten Wörter leiten über zu dem riesigen Schriftzug «AICNOM» an der Eingangswand der Ausstellung. Die sechs Buchstaben prangen massiv, blau, schwebend vor einer orange-roten Wand und verweisen fast exakt spiegelbildlich auf den Ausstellungstitel «MONDIA». Harald F. Müller entdeckte das Wort bei Recherchen im Archiv der Aluminium-Walzwerke Singen auf einer Fotografie. Es ist Firmen- und Markenname, lässt aber auch als «Mon Dia», also «meine Fotografie» lesen und bedeutet auf Rumänisch «Welt». Und nichts weniger als die Welt findet sich Müllers Arbeit.

Fülle der Bilder

Der Künstler sichtet tausende Abbildungen in Magazinen, Prospekten und Büchern. Die massenhaft publizierten Druckerzeugnisse bieten ebenso wie die digitalen Medien ein unerschöpfliches wie unübersichtliches Bilderreservoir. Künstlerinnen und Künstler suchen immer wieder Strategien, um diese Bilderflut zu kanalisieren, sie sich anzueignen oder sie zu überwinden. Harald F. Müller geht einen radikalen Weg: Aus der grossen Fülle hat er zwei Bilder ausgewählt. Diese beiden installiert er in hundertfacher Vergrösserung vor der Wand schwebend im Ausstellungsraum. Auf dem einen ist ein seltsam stiller Moment im Wiener Prater zu sehen und auf dem anderen ein Handgemenge unter Anzugträgern. Die Bildlegenden «Prater» und «Japan II» verraten wenig. Warum diese beiden Bilder? Wie hängen sie zusammen? Die Antwort gibt die Kunst: Der Künstler wählt aus, bestimmt die Vergrösserung und Anordnung. Er stellt den Zusammenhang her und zeigt seine persönliche Sicht in einem räumlichen und farblichen Zusammenhang.

Architektur und Farbe

Die Wände des Ausstellungsraumes nehmen die Farben der Kunst auf und gehören bei Harald F. Müller zu einem künstlerischen Gesamtkonzept. Dies zeigt sich in der Kartause Ittingen besonders schlüssig, hat der Künstler doch hier das Untere Gästehaus gestaltet. Es ist in der Ausstellung in Fotografien des Konstanzers Guido Kasper zu sehen und auch unabhängig von der Ausstellung zugänglich.