Kammer des Ephemeren

by Kristin Schmidt

Lesen ist Arbeit. Lesen hinterlässt Spuren. Nicht nur im Hirn, sondern auch im Buch. Manfred Holtfrerichs Exemplar von Adornos «Ästhetische Theorie» zeugt von intensiver Lesearbeit. Handschriftliche Notizen, Unterstreichungen, farbliche Markierungen: wieder und wieder hat der Hamburger Künstler den umfangreichen Text durchpflügt, seinen Gehalt wieder und wieder seziert – bis daraus eine dichte, ästhetische Antwort auf Adornos Theorie entstanden ist. Digital vergrössert, bearbeitet und ausgedruckt sind nun 48 Seiten daraus in der Chambre Directe – Schubiger installiert. Der kleine OffSpace, neben Metzgerei, Änderungsschneiderei und Bäcker im St.Galler Osten, wird vom Künstler und Kurator Felix Boekamp betrieben. Er präsentiert hier seit anderthalb Jahren vorzugsweise Ephemera in sehenswerten Kontexten. So kombiniert er beispielsweise Holtfrerichs Arbeit mit Karin Sanders «Office Works». Die Künstlerin hat A4-Druckerpapier mit Karteireitern gespickt. Einzeln, zu zweit, zu dritt und in erstaunlich vielen Farben tauchen die kleinen Bürokratiehelferlein an den Papierrändern auf. Während bei Holtfrerich die Markierungen auf den Inhalt reagieren, entsteht der Rhythmus hier auf dem leeren Blatt. Gemeinsam ist beiden der persönliche Code, der in ein ästhetisches Notationssystem mündet.