Leinen los!

by Kristin Schmidt

Der Dachstock ein Schiffsrumpf, die Dielen knarzende Planken, die Fenster ein Ausguck – die Propstei St.Peterzell hat sich verwandelt. Massive Um- und Einbauten waren dafür nicht notwendig, sondern gut ausgewählte und eigens entworfene Ausstellungsstücke sowie ein altes Thema: die Sehnsucht nach der hohen See.

«Sonne, Meer und Sterne – Von Toggenburger Matrosen und Brandungsgeräuschen in den Alpen» nimmt die Reisenden, denn eigens angereist sind wohl die meisten Gäste dieser Ausstellung, mit aufs grosse weite Wasser. Auf den Spuren Toggenburger Seefahrer geht es in der Propstei hinaus in die weite Welt, die mitunter erstaunlich klein ist. Wochenlang spielen sich Leben und Arbeit auf und unter Deck ab. «Schaffe, esse, suufe», fasst es Erich Näf zusammen. Von 1981 bis 1983 fuhr er als Seemann Häfen auf der ganzen Welt an. Freilich nicht auf hölzernen Planken und unter Segel, aber abenteuerlich klingen seine Berichte in den Ohren von Landratten durchaus. Zu hören sind sie in Interviewform inmitten der Ausstellung. Anschaulich erzählt Näf über das Leben an Bord, über Arbeitsbedingungen, Landgänge, Exzesse und die Mannschaft. Persönliche Gegenstände wie Seesack, Weltkarte und Nähzeug ergänzen den anekdotischen Zugang zum Matrosenleben. Sehr gelungen ist auch die Präsentation der Fotografien von Bruno Näf, Bruder von Erich, auch er fuhr zur See: Aufnahmen von ihm wurden abgezogen und können nun in der Ausstellung in die Hand genommen werden – in Zeiten omnipräsenter Digitalfotografie ein ebenso sinnliches wie nachhaltiges Erlebnis und ein Zeugnis eines grossen persönlichen Aufbruchs.

Daneben gibt es individuelle Berichte anderer Seeleute, aber auch Bekanntes und weniger Bekanntes über den grossen Kontext. Publikationen liegen aus zu Themen wie dem Sklavenhandel, der überaus eng mit der Seefahrt verknüpft ist, zum Mittelmeer als Flüchtlingsroute oder zur grossen Sehnsucht der Schweiz nach einem direkten Seezugang. So waren Ansätze für einen Transhelvetischen Kanal bereits im 17. Jahrhundert gebaut und weiterführende Pläne recht weit gediehen. Sie versandeten nicht zuletzt durch den Ausbau der Transitstrassen, wurden aber erst 2006 endgültig begraben. Bücher, Objekte und Begleitinformationen werden auf eigens gebauten Holzregalen präsentiert. Maritimes Ambiente klingt ebenso zurückhaltend wie poetisch an, etwa wenn der Maserung des Holzes eine grüne Lasur wellenförmig antwortet.

Zwiegespräche gibt es auch zwischen den dokumentarischen und den künstlerischen Ausstellungsteilen. Letztere illustrieren nicht einfach das Thema, sondern sind assoziativ gesetzt, öffnen einen grossen Gedankenraum und ermöglichen neue Sichtweisen. Monika Sennhauser hat beispielsweise eine präzise Installation eigens für den Dachraum entwickelt. An hauchdünnen Schnüren hängen rechteckige Spiegel horizontal im Raum. Wie Fenster öffnen sie Blicke in die hölzerne Dachkonstruktion. Der hölzernen Dachstock scheint unterhalb der reflektierenden Oberflächen zu liegen und wird durch das leichte Schwingen der Spiegel, in Bewegung gesetzt durch die Vorübergehenden, zum schaukelnden Schiffsrumpf. Die St.Galler Künstlerin setzt sich seit langem mit den Horizonten und Sonnenbahnen auseinander. Auch zwei ihrer umfangreichen Videorecherchen sind in der Ausstellung zu sehen.

Wasser hat keine Balken und vielen ist das Meer schon zum Verhängnis geworden. Der in Teufen lebende Künstler Thomas Stüssi erinnert mit seiner Installation an den holländischen Künstler Bas Jan Ader, der 1975 mit einem kleinen Segelboot den Atlantik überqueren wollte, aber niemals ankam: Stüssi baute einen Sperrholzkörper und legte einen Mantel aus Salz darum. Letzterer ist teilweise abgefallen, zerbrochen wie nach einer unsanften Landung. Damit bezieht sich Stüssi zugleich auf Astronautenkapseln, die in den 1960ern und 1970ern auf abenteuerliche Weise getestet wurden. Auch die Reise durch die Luft erwies sich dabei mitunter als verhängnisvoll. Aber auch die Tiefe hat es in sich, lauern doch dort die unbekannten Wesen. Zumindest beh“errschten sie lange Zeit die Vorstellungen vom Meer. Nicht Riesenkraken, Monsterfischen oder Klabautermännern errichtete «Blue My Mind» ein filmisches Denkmal, sondern einer Meerjungfrau. In der Propstei sind die Zeichnungen der Kostümdesignerin Laura Locher für diesen Film zu sehen. Zudem hat sie gemeinsam mit ihrer Schwester Joana die Installation «Horizont sieben» entworfen: Wer möchte, wird dank ihr zur Galeonsfigur, um die durchs Toggenburg segelnde Propstei vor Unglück zu bewahren.