Universell und sinnlich

by Kristin Schmidt

Eine Bildsprache, die universell verständlich ist und sich für grosse Ideen eignet – Paul Neagu setzte sich ein grosses Ziel. In der ersten internationalen Museumsretrospektive wird sein ganzheitlicher Anspruch ebenso deutlich wie seine komplexe künstlerische Praxis.

Vaduz — Was ein Pflug ist, weiss jedes Kind. Er ist in der langen Geschichte der Agrargesellschaften zu einem starken Symbol geworden, das selbst in Grossstädten, weit entfernt von aller Landwirtschaft noch verstanden wird. Ein oder mehrere Haken, die sich in die Erde graben können, eine Querverbindung und ein Schaft – das hölzerne Gerät im Kunstmuseum Liechtenstein ist einem Pflug nicht unähnlich und doch ganz offensichtlich kein Ackergerät. Es ist grösser, formal reduziert und bezeichnet mit seinen äusseren Punkten einen Kreis. Was ist es also? Paul Neagu (1938–2004) betitelte seine Erfindung als «Hyphen», als einfaches, verbindendes Element. Die wandelbare Gestalt eines «Hyphen» ist hergeleitet aus den geometrischen Grundformen Dreieck, Quadrat und Kreis und deren Symbolik, die vom Irdischen bis weit ins Kosmische hinausreicht: Paul Neagu wollte nichts weniger als eine allumfassende energetische Quelle erschliessen. Sie entstand jedoch nicht aus esoterischen Gedankenspielen heraus. Der rumänische Künstler untersuchte bäuerliche Handwerke und Traditionen in verschiedenen Kulturen und entwickelte daraus ein Vokabular, das im Praktischen und Volkstümlichen verwurzelt ist und sich von dort aus ins Universelle entfaltet. Ein Zeichen dieser Verwurzelung ist beispielsweise sein Anspruch alle Sinne einzubeziehen. In seiner kollektiven Performance «Cake Man», 1971 in London inszeniert, waren alle eingeladen, die Zellen eines generischen Menschen aus Waffeln zu essen. Auch taktile Elemente waren ein fester Bestandteil seiner Arbeiten. Das Kunstmuseum Liechtenstein zeigt das Werk in seiner grossen Vielfalt von Objekten, Zeichnungen, Malerei, Video und Fotografie. Zusätzlich wird ein Laboratorium der Ideen präsentiert. Hier finden sich ausgewählte Manifeste, Notizbücher und Künstlerbücher. Es ist der Versuch, nicht nur ein komplexes Gedankengebäude museal zu fassen und zu vermitteln, sondern zugleich die Künstlerpersönlichkeit zwischen zwei grossen Systemen zu zeigen. Neagu war in Bukarest geboren, pendelte ab den späten 1969er Jahren zwischen Rumänien und Westeuropa, wandte sich nie vollständig von Rumänien ab, lebte jedoch ab 1971 in London. Hier wurde er zum angesehenen Kunstprofessor – bei ihm studierten beispielsweise Antony Gormley, Anish Kapoor, Tony Cragg und Rachel Whiteread – und arbeitete unermüdlich an seinen grossen Ideen weiter, künstlerisch und philosophisch.