Beni Bischof – «Der 01.01.3000 ist ein Mittwoch.»

by Kristin Schmidt

Überlagerungen: im Atelier, in den Arbeiten, in der Arbeitsweise. Aquarelle treffen auf grossformatige Ölgemälde, Schlagzeilen auf Handzeichnungen, Pastilin auf Porzellan. Beni Bischofs Werk ist komplex, sowohl inhaltlich als auch formal. Der Künstler ist analog ebenso unterwegs wie in digitalen Bereichen. Er verfolgt Werkserien oft über längere Zeit, entwickelt parallel aufwendige Installationen und besitzt eine grosse Affinität zu Büchern.

Kunst in Kojen hängen kann jeder, aber eine Messekoje in eine real existierende Bar verwandeln die wenigsten. Beni Bischof ist virtuos darin, pralles Leben in der Kunst unterzubringen und die Realität zu hacken. An der Artgenève 2019 funktionierte beispielsweise, was schon im Jahr zuvor die Galerie Nicola von Senger umkrempelte: Der Galerist als Barmann unterhielt das Publikum, mixte die Drinks, spielte die Songs seiner Playlist. Auch sonst war alles da: Tresen, Alkohol, Musik, Schummerlicht, dunkle Wände, Krimskrams und Deko. Oder war die Deko die Kunst? War die Kunst die Deko? In Beni Bischofs Fall ist das kein Widerspruch. Seine eigenen Arbeiten hingen in «Nici’s Bar» an der Wand oder standen auf der Theke; nicht abgesondert, herausgehoben oder gelabelt, sondern mittendrin, strotzend vor Farbe, Witz und Frische: Gemälde, Collagen, Objekte, die sich aus der Realität speisen und mühelos dorthin zurückwechseln. Genau wie im vergangenen Sommer als Beni Bischofs Porzellankannen dank der Ausstellungsidee «Another Long Evening» des Kunstvereins St.Gallen im Schaufenster einer St.Galler Konfiserie auftauchten.

Kunst in der Konfiserie

Dort, wo sonst Törtchen und Pralinés prangen, hübsch aufgereiht vor pastellfarbenem Vorhang, präsentierten sich «Hässliche, aber freundliche Teeannen» – genauso üppig, genauso cremig, genauso barock wie die Konditorware. Dazwischen und nur wenig grösser als der feilgebotene St.Galler Biber mit dem dicken Bären drauf grinste ein Ölgemälde mit pastos hingeschmiertem Gesicht. Es gehört zu einer Serie, die seit 2011 entsteht und aus der fünf Arbeiten derzeit in «Blicke aus der Zeit» im Kunstmuseum St.Gallen zu sehen sind. Die Serie geht auf Bischofs Interesse am menschlichen Antlitz zurück: «Porträts faszinieren mich, weil sie so schnell gemacht sind.» Dem Künstler genügen vier Haushaltsgummis nach dem Motto «Punkt, Punkt, Komma, Strich» oder sogar nur drei Pinseltupfen. Er testet die Grenze aus, ab wann ein Gesicht ein Gesicht ist und ab wann dieses Gesicht einen Ausdruck erkennen lässt. Die pastosen Ölbilder sind meist mit einer Farbe über schwarzem Grund gemalt. Löchern gleich bilden die schwarzen Vertiefungen clowneske Fratzen. Das Bild schält sich aus der Farbe heraus. Sind die langen ovalen Formen Augen? Sind es Ohren? Ist es ein Gesicht? Ist es eine Maske? Ebenso markant wie das Motiv ist Bischofs Umgang mit dem Farbmaterial. Dick aufgetragen im wörtlichen Sinne, zusammengestaucht, verdreht und gekleckert: zentimeterdicke Dynamik auf kleiner Fläche.

Gedruckte und digitale Quellen

Bischof koppelt die Bedeutung einer Arbeit nicht an ihre Grösse: «Die kleinen Formate sind mindestens so wertvoll wie die grossen. Die Grossformate sind hundertmal aufwendiger, da geht die Spontaneität verloren.» Sie besitzen andere Qualitäten wie sich in seiner aktuellen Ausstellung im Museum zu Allerheiligen zeigt. Die Grossformate bündeln die Energie und ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, die sich von da aus wieder den kleineren Werken zuwenden kann – oder dem digitalen Werk: «In Schaffhausen habe ich einen kleinen Raum mit einer Videoarbeit eingerichtet. Eigentlich ist es eine vertonte Diaschau, eine Abfolge von Internetbildern.»
Das Internet ist für Beni Bischof eine wichtige Quelle. Ebenso gross ist seine Freude an Printprodukten – als Quelle, aber auch als Produkt, in dem sich das Digitale analog abbilden lässt. In den Laser-Heften kommt beides zusammen. Das Fanzine gibt er seit 2005 heraus. Es gibt eine Nummer mit Schlagzeilen aus Printmedien wie dem britischen «Enquirer» mit seinen formal als auch inhaltlich plakativen Schlagzeilen, es gibt das Wursthorror-Heft, die durchfingerten Modelgesichter oder die «Meta Cars», eine Serie, die Bischof schon sehr lange verfolgt: «An den Autos arbeite ich immer wieder. Sie entstehen oft aus Langeweile. Zum Beispiel in der halben Stunde, die ich zwischen St.Gallen und Widnau pendle.» Auch die Burgen sind so entstanden. Die Fotografien der Bauwerke sind Fundstücke und werden von Bischof so bearbeitet, dass sie ohne bauliche Details, ohne Fenster oder Tore wie Monolithe dastehen. Allerdings ist dieses Thema für den Künstler inzwischen ausgereizt. Genauso auch wie die Wurst- und Fingerbilder: «Diese Arbeiten entstanden in einer sehr kurzen Phase, eigentlich innerhalb eines Nachmittags.» Und eigentlich in Ermangelung von Stiften und Zeichenpapier: «Ich hatte diese Hochglanzmagazine aus dem Flugzeug vor mir und als Werkzeug meine Finger.» Durch das Durchstechen der Bilder werden die Modellporträts zu Masken und treffen offensichtlich einen Nerv, denn sie lösen Jahre nach ihrer Entstehung immer grosse Emotionen aus und werden oft abgebildet. Liegt es daran, dass Beni Bischof die Perfektion unterläuft? Daran, dass er eine unkomplizierte, wirkungsvolle Methode der Aneignung präsentiert? Daran, dass er die Bilderflut kanalisiert, indem er eine Auswahl trifft und diese weiterbearbeitet?

Materialfülle im Atelier

In Beni Bischof findet die tägliche mediale Bilderflut ihren Meister und in seinem «Psychobuch» ist sie auf zweieinhalb Kilogramm zusammengebracht und obendrein geordnet. Acht Kategorien von «Ruhig Lustig» bis «Laut Ernst», von «Laut Lustig» bis «Ruhig Ernst» versammeln die ganze Welt aus Muskelprotzen, Fingernasen, Fratzen und Katzen. Ein zweiter Band ist in Planung, denn das Bilderuniversum wird nicht kleiner und Beni Bischof arbeitet mit grosser Energie: «Ich arbeite immer an zwei bis drei Sachen parallel: Malerei, Aquarell, gross- oder kleinformatig, digital oder analog.» Steht eine Ausstellung an, kann der Künstler auf umfangreiches künstlerisches Material zugreifen: «Mein Studio ist mein Labor, mein Spielplatz. Aus dem, was da ist, entwickle ich ein Thema und arbeite daran weiter. Zufall und Affekt spielen aber immer eine grosse Rolle – es muss schnell gehen. Ich schätze das Flüchtige.» Das schliesst das Wertvolle ebenso wenig aus wie das Sorgfältige und das Überdauernde. Das zeigt sich in Beni Bischofs Konvoluten und Sammlungen. So stapeln sich die A4-Blätter mit Aquarellen geradezu im Atelier.

Textsammlungen seitenweise

Oft reicht dem Künstler eine gefundene Aussage, ein Satz, eine Schlagzeile; mit wenigen, sicheren Strichen entsteht dazu ein Bild – eine Kombination voller Doppelsinn und Weisheit.
Ein anderes Beispiel für die ausdauernde und ordnende Arbeitsweise des Künstlers sind seine Textsammlungen. Die erste präsentierte der MANOR-Kunstpreisträger Beni Bischof 2015 anlässlich seiner Einzelausstellung im Kunstmuseum St.Gallen. Das Buch hat den gleichen papiernen, einfarbigen Umschlag wie die edition Suhrkamp, die gleiche typographische Klarheit und ist in derselben Druckerei wie die bekannte Buchreihe gedruckt. Der Inhalt ist aber vermutlich heterogener als alles, was je zwischen zwei Suhrkamp-Buchdeckeln Platz gefunden hat: Versammelt sind darin Youtube-Kommentare, Zitate von Werbeplakaten oder Verpackungen, Rezepte, Sprüche, Anleitungen, persönlich erhaltene Nachrichten – alles, was die Medienwelt hergibt. Die Auswahl erweist sich als überraschend aktuell oder zumindest zeitlos, wenn es etwa heisst: «Ich bin so sauer, ich habe ein Schild gebastelt.» oder verbreitet den Charme des Überholten mit den regelmässig eingestreuten Chuck Norris-Witzen. Vor einem Jahr ist der vierte der Textbände erschienen, er umfasst über 1’000 Seiten – und es wird weitergehen, denn die Fundstellen sind unerschöpflich.

Beni Bischof (*1976, Widnau) lebt in Widnau, arbeitet in St. Gallen

Preise und Stipendien (Auswahl)
2020 Landis Gyr Stifung
2019 Jurypreis Skulpturen-Biennale Weiertal, Winterthur
2015 MANOR Kunstpreis St.Gallen
2014 Goldiga Törgaa / Kunstpreis der Rheintaler Kulturstiftung
2012 Förderpreis der Stadt St.Gallen
2010, 2009 Swiss Art Award

Einzelausstellungen (Auswahl)

2020 «Intensity intensifies», MASI Lugano
2019 «Bad Habits in the Museums Café», Plus one Gallery, Fotomuseum Antwerpen
2016 «Sensory Spaces 9», Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam
2015 MANOR-Kunstpreis, Kunstmuseum St.Gallen
2015 Fotohof Salzburg, Salzburg
2010 «Dumm schauen und Kekse fressen», Kunst Halle Sankt Gallen

Gruppenausstellungen (Auswahl)
2019 «End of Future», Sala de Arte Publico Proyecto Siqueiros La Tallera, Cuernavaca, Mexico
2018 «Standing Still, Lying Down, As If», Museum of Contemporary Art Detroit
2018 «Teeth Fist Money», 3rd Photo Bienal Beijing, CAFA Art Museum (CHN), Sept. 2018
2016 «Oceans Without Surfers, Cowboys Without Marlboros», PM/AM, London
2015 «Concrete. Fotografie und Architektur», Fotomuseum Winterthur
2014 «Junge Sammlungen, The Vague Space», Weserburg Museum für moderne Kunst, Bremen

Beni Bischof & fructuoso/wipf, DOPPIO II, Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, bis 20.6.
www.allerheiligen.ch