Wildhüter im Spannungsfeld

by Kristin Schmidt

«Die Voralpen sind der Spielplatz der Bevölkerung.» Silvan Eugster ist kantonaler Wildhüter und erlebt den Druck auf die Natur vor Ort: «Wir sind hier in der ersten Gebirgskette und spüren den Freizeitbetrieb in den Bergen sehr.» Die Menschen wollen raus, sie wollen in die Natur, sie suchen den Ausgleich, die Erbauung, den Freiraum. Da kann es schon mal eng werden. Auch für die Tierwelt: Rückzugsflächen für Wildtiere werden kleiner, aber auch die Zeiträume, in denen Rehe, Hasen und Hirsche ungestört sind, werden kürzer oder verschwinden ganz: «Stirnlampen haben heute eine Leuchtkraft wie Autoscheinwerfer, damit ist es auch nachts möglich zu biken, zu wandern, mit den Tourenski oder Schneeschuhen loszuziehen.» Hier muss der Wildhüter versuchen zu kanalisieren: «Ob 30 oder 300 Leute auf einem Wanderweg sind, ist den Tieren egal. Aber wenn sie die Dämmerung und die Nachtzeiten nicht mehr für sich haben, wird es schwierig.» Insbesondere im Winter können Störungen der Tiere direkt zum Tod führen: «Rotwild beispielsweise reduziert den Herzschlag und die Körpertemperatur. Das hat auch Auswirkungen auf das Gewicht.» Die Tiere sind schwächer und empfindlicher. Da nützt auch zusätzliches Füttern nicht, Ruhe ist das Wichtigste. Damit steigen in Zeiten vermehrten Waldbegängnisses auch die Konflikte. Wildhüter sind hier sehr gefordert. Diplomatisches Geschick ist ebenso wichtig wie Durchsetzungsvermögen. Wo ein Wildhüter in einem Nationalpark vor allem mit Natur zu tun hat, sind in der kleinräumigen Struktur des Appenzellerlandes die Anspruchsgruppen deutlich vielfältiger. Darin liegt aber auch der Reiz: «Hier gilt es zu vermitteln zwischen Land- und Forstwirtschaft, den Anwohnerinnen und Anwohnern, aber auch touristischen Interessen.» Zuständig ist Silvan Eugster also für vieles. Auch die Jagdplanung fällt in sein Ressort: Gemeinsam mit den Förstern begutachtet er den Zustand des Waldes, der wiederum Rückschlüsse auf die Wildtiere zulässt: «Wenn ein Bestand überhandnimmt, steigt auch das Risiko von Krankheiten.» Und der Wolf? Silvan Eugster nimmt es gelassen, Wolf und Luchs sind längst auch im Appenzellerland unterwegs. Die Raubtiere sind nicht mehr wegzudenken. Manchmal können sogar andere davon profitieren, so hat Silvan Eugster in seiner Zeit als Wildhüter im Rheintal mehrere Umsiedlungen von Luchsen in deutsche Naturgebiete begleitet. Eine spannende Aufgabe. Doch plötzlich klingelt das Telefon: ein Wildunfall. Silvan Eugster muss los – auch solche Begegnungen gehören zu seinem Arbeitsalltag.

«Obacht Kultur», Ausgabe WALD, N° 39, 2021/1