Die Technik hat es in sich

by Kristin Schmidt

Das Kunstmuseum St.Gallen verdrahtet die eigene Sammlung. Die aktuelle Ausstellung lotet den Umgang von Künstlerinnen und Künstlern mit neuen Technologien aus. Die Technik ist ihnen Anlass und Inhalt zur Arbeit, die Energie fliesst physikalisch und gedanklich.

St.Gallen — Der Duden hat die Kabelnachricht abgeschafft: Die neueste Ausgabe des deutschen Rechtschreibwörterbuches listet dieses Wort nicht mehr auf. Allenthalben geht es dem Kabel an den Draht. Kopfhörer, Staubsauger, Telefone, Rasenmäher funktionieren kabellos. Dynamos, per isoliertem Draht mit einer Leuchte verbunden, sind an Velos kaum noch zu sehen. Haben die Kabel ausgedient?
Nichts geht ohne Kabel wie die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum St.Gallen zeigt. Monitore, Leuchtstoffröhren, Projektoren, Ventilatoren – alles braucht Strom per isolierter Leitung. Doch die Drähte leisten mehr als nur den Energiefluss und die Kunstwerke sind mehr als technologische Zeugnisse. Der Ausstellungstitel deutet es an: «Welt am Draht» bezieht sich auf den gleichnamigen Fernsehzweiteiler von Rainer Werner Fassbinder. Der Regisseur entwarf damit 1973 zwei parallel existierende Welten, deren eine auf vollständiger Simulation beruht. Doch bald sind die Grenzen nicht mehr so scharf gezogen: Was ist real? Was ist Täuschung? Wo befindet sich das Individuum in der medial aufbereiteten Welt? Fragen, die sich angesichts der omnipräsenten virtuellen Räume gegenwärtig nicht mehr nur fiktiv stellen. Die gezeigten Werke schlagen einen Bogen von der Entstehungszeit der beiden Filmteile bis heute. Zu sehen sind beispielsweise Arbeiten aus den 1970er Jahren von Silvie und Chérif Defraoui, Manon und Keith Sonnier. Letztgenannter untersuchte bereits damals die positiven, vernetzenden Möglichkeiten der Satellitentechnologie als Kontrapunkt zur ihrer militärischen und politischen Nutzung. In den 1990er Jahren thematisieren Matthew McCaslin oder Alexander Hahn den technologischen Wandel und die damit verbundenen Emotionen. Seit den 2000er Jahren rücken existenzielle Fragen in den Vordergrund, so zeigt beispielsweise Georg Gatsas Videointerviews, die er im April 2020 mit Künstlern und Künstlerinnen verschiedener Sparten zu führen begonnen hat, um sie und ihre Lebensumstände zu porträtieren. Mit «Welt am Draht» knüpft das Kunstmuseum St.Gallen an frühere Themenausstellungen an, die aus der eigenen Sammlung heraus entwickelt wurden. Einmal mehr zeigt sich hier ein produktiver, sinnstiftender Umgang mit dem Bestand, der sogar Pipilotti Rists permanent installierten «T.V.-Lüster» von 1993 einbezieht. Im Museumsfoyer prominent platziert, funktioniert er gleichermassen als magische Lampe, als allsehendes Auge und als glitzerndes, glorifiziertes Stück Technik.

Bis 7. März 2021
www.kunstmuseumsg.ch