Digitalisierung und Demokratisierung des Graphic Design

by Kristin Schmidt

Wie gehen ein Schriftgestalter und eine Layouterin mit den neuen technischen Möglichkeiten und Herausforderungen grafischer Gestaltung um? Im Gespräch mit Katja Hösli und Fabian Harb.

Ein Schriftstück gestalten, eine Präsentation zusammenbauen, einen Onlineauftritt entwerfen – wer vor einem Rechner sitzt, hat die Werkzeuge dafür fast automatisch in der Hand. Die gängigen Text- und Bildverarbeitungsprogramme sind weit verbreitet und suggerieren, für die Form der Inhalte seien keine Profis nötig. Wäre dies so, gäbe es keine Typografen mehr, keine Gestalterinnen, keine Grafikagenturen. Aber es gibt sie doch, aus guten Gründen.

«Millionen von Leuten verwenden die gleichen Schriften. Wer einen Wiedererkennungswert, einen Mehrwert sucht, der kauft eine spezielle Schrift.» Fabian Harb entwirft Schriften. Gemeinsam mit Johannes Breyer betreibt er das Design Studio Dinamo und bietet diese Schriften online an. Zudem nimmt das Gestalter-Duo Aufträge an: «Wir sind an den Orten präsent, wo gutes Design geschätzt wird: kulturelle Projekte, Kunst, Musik. Agenturen und Firmen aus den Bereichen Sport und Lifestyle kommen auf uns zu.» Diese Firmen sind nicht nur interessiert an möglichst starken, unverwechselbaren Auftritten, auch subtil darf es sein und individuell zugeschnitten: «In der sich schnell verändernden Welt, muss man versuchen, spezifisch mit speziellen Gruppen zu reden.» Diese gezielte Ansprache, die Kontaktaufnahme ist eine Kernaufgabe des Graphic Design, oder wie Art Directorin Katja Hösli es formuliert: «Grafik ist gestaltgewordene Kommunikation – ganz gleich ob digital oder analog.» Die ausgebildete Gestalterin hat preisgekrönte Auftritte für grosse Tageszeitungen in ganz Europa entwickelt und vergleicht Gestaltungskonzepte mit Architektur: «Ein Bauherr ähnelt einem Verleger oder einer Chefredaktion. Beide fragen wir ‹Wie braucht Ihr das?› und ‹Wen wollt Ihr einladen oder ansprechen?› Zudem hat das Ganze viel mit Geschichte zu tun.» Aber nicht mit einer einzigen: Konsumentinnen und Konsumenten haben ihre Tradition, ebenso die Verlage und das Medium Zeitung. Hinzu kommen kulturelle Unterschiede: «In Italien beispielsweise sind die Zeitungen voll und dicht, ein Fussballspiel erhält Platz auf drei Seiten. In Prag spielen die Titel eine grosse Rolle. Die Financial Times bespricht abstrakte Zusammenhänge, die werden über assoziative Bilder transparent gemacht.»

Ginge es nach den Leserinnen und Lesern würden sich Zeitungslayouts kaum verändern, sie sind eher konservativ und bevorzugen die gewohnte Gestaltung. Treiber für Veränderungen ist laut Katja Hösli hingegen die Technik: «Das Layout ist eine Visualisierungstechnik, die nah an der Produktionstechnik ist. Das Graphic Design hat eine Funktion innerhalb eines Gefüges, es muss einen Job übernehmen.» Und das in hoher Frequenz: «Die Zeitung muss jeden Tag raus, also brauchen wir eine visuelle Lösung für jeden Tag. Die Gestaltung muss nicht statisch, sondern in der Systematik gut aufgebaut sein. Und sie muss immer und jederzeit kompatibel sein.»

Auch Logos sind heutzutage nicht mehr statisch, so Fabian Harb: «Die Webgestaltung erlaubt inzwischen viel mehr. Alles, was digital besteht, kann man in eine Website bringen: bewegliche Buchstaben, variable Fonts. Uns interessieren die Technik und deren Möglichkeiten, Funktionen anders zu interpretieren.» Früher haben Fabian Harb und Johannes Breyer ausschliesslich im Printbereich gearbeitet, im vergangenen Jahr betrug das Verhältnis von Print zu Web 50:50 und die Verschiebung setzt sich weiter fort. Werden wir also irgendwann alle Inhalte nur noch elektronisch lesen? Katja Hösli verneint: «Ich lese in einer aufgeschlagenen Zeitung schneller.» Zudem erhalten die Leserinnen und Leser das ganze Spektrum der gedruckten Inhalte, nicht nur die per Algorithmus gefilterten Empfehlungen. Diese Vielfalt lässt sich auf dem grossen Format gut überblicken – anders, als wenn ein Wisch den nächsten Inhalt auf das Display bringt und der vorhergehende verschwindet; auch aus dem Kopf, wie die Leseforschung inzwischen nachgewiesen hat. Katja Hösli betont: «Wir sind in der Lage verschieden zu lesen. Wenn es spannend ist, dann lese ich das, weil es sich im Kopf zusammensetzt. Das ist ein exklusives Erlebnis.»

Hösli glaubt an das Bedürfnis nach mehr Ruhe und Konzentration: «Dafür muss es eine visuelle Sprache geben.» – eine Sprache, die nicht vollständig autonom ist, wie Fabian Harb bestätigt: «Wir testen Grenzen aus, aber bestimmte Konventionen schwingen immer mit, wenn die Buchstabenform ihren Funktions- und Werkzeugcharakter behalten soll.» Auch Zeitungslayouts sind nicht frei von Konventionen, aber Katja Hösli nutzt ein grosses Spielfeld: «Grafik, Typografie, Bildkonzepte – damit kann man wunderbar Geschichten erzählen.»

Obacht Kultur, Ausgabe GRAPHIC DESIGN, No. 38 | 2020/3