Nichts ist, was es ist

by Kristin Schmidt

Wenn der Nebel dicht ist wie Buttermilch, wenn die Sichtweite kaum mehr als zehn Meter beträgt, wenn die Welt im Dunst verschwindet, eröffnen sich neue Perspektiven. Alles könnte dann überall sein. Auch das Kunsthaus Bregenz. Dort stellt Peter Fischli aus.

Hätte das Kunsthaus Bregenz Fenster, wäre bei Nebel der Bodensee nicht mehr zu sehen. Im unbestimmten Weiss könnte sich alles verbergen – eine Metropole, eine Gegenwelt oder einfach das Nichts. Aber das Kunsthaus steht immer noch in Bregenz und hat wie eh und je keine Fenster. Doch es beherbergt die aktuelle Ausstellung von Peter Fischli – seine erste grosse Einzelpräsentation, seit dem Tod seines künstlerischen Partners David Weiss im Jahre 2012.

Kinderspiele

Hat nun Peter Fischli dem Kunsthaus Bregenz Fenster eingebaut? Solch massive Eingriffe hat der Meister der Simulation nicht nötig. Er öffnet das Haus auf andere, subtilere Weise ins weisse Nichts: Im obersten Stockwerk des Ausstellungsgebäudes hängen grossformatige Papiere an den Betonwänden. An den Rändern sind die Papiere angesengt. Gerade so als ob Kinder am Werk gewesen waren: Wer hat nicht versucht, mit einem Streichholz oder Feuerzeug an den Papierrändern entlangzustreichen? Zugesehen, wie sich das weisse Blatt langsam dunkel und dunkler färbt, sich einrollt, Feuer fängt und einreisst? Peter Fischli hat die Kinderspiele nicht vergessen. Schon im Duett mit David Weiss waren das unbefangene Experiment, die Freude am Basteln und Improvisieren, Spielen eine Konstante der künstlerischen Arbeit. Die Ergebnisse wiesen freilich weit über dieses Tun hinaus und besassen philosophische Dimensionen. Grundsatzfragen, Weltgeschichte, Erkenntnisprozesse – kein Thema war zu gross für Fischli und Weiss und wurde dank ihnen handlich, verträglich, komisch, aber nie belanglos.

Angesengter Zumthorbau

In Bregenz ist es nun der Zumthor-Bau, an dem Peter Fischli eine Erdung versucht: Mit den angesengten Papieren brennt der Künstler gleichsam Löcher in die Architekturikone. Dank der weissen Felder auf den Wänden scheint der Nebel vor der geöffneten Fassade zu wabern – ein kleines «Als ob» und schon ist die Erhabenheit nicht mehr intakt.

Diese Arbeit ist dem Ausstellungsgebäude gewachsen. An anderen Stellen bleibt Peter Fischlis Kunst für sich und verschenkt eine grossartige Möglichkeit der Reibung vor Ort. Nichtsdestotrotz funktioniert der grössere Teil der ausgestellten Werke autonom. Im Erdgeschoss beispielsweise sind Videoschnipsel von GoPro-Kameras zu sehen. Auch sie tun so «als ob»: Als ob Laien diese waghalsigen Aktionen vor schönster Kulisse selbst aufgenommen und ins Netz gestellt hätten. Als ob jeder und jede solche Filme machen könne – mit der richtigen Kamera versteht sich. Als ob das keine Werbung wäre. Als ob.

Kategorien auf den Kopf gestellt

Peter Fischli enttarnt das Getöse, indem er es in anderem Kontext zeigt. Er denunziert nicht, sondern verwandelt. Aus weiss wird schwarz. Aus kostbar wird billig. Aus nützlich wird wertlos. Der wuchtig-edle Empfangstresen im Eingangsbereich des Kunsthauses ist nun mit Pressspan verkleidet. Eine Funktion hat das Möbel nicht mehr, der Empfang findet jetzt im Untergeschoss statt. Die Fächer für die Ausstellungszettel sind neu aus Bronze. Die Sockel der Ausstellungsobjekte bestehen aus Pappe. Die Objekte selber aber auch: Im ersten Obergeschoss sind Dosen und Schachteln zu sehen, zwei Grundtypen der Verpackungsindustrie. Sie sind aus Karton gefertigt, bemalt und lackiert. Und sie sind leer. Ihre Daseinsberechtigung wäre ihr Inhalt, den aber gibt es nicht. Sie müssen alleine zurechtkommen, ausgerechnet jetzt, so im Rampenlicht. Der Weg aus dieser Misere: Die Dosen und Schachteln sehen aus wie Kunst, wie Anti-Kunst, wie Dada, wie Objektkunst. Sie sehen nicht nur so aus. Sie sind Kunst. Sie sind sogar extra gemacht – keine Ready-mades. Wobei die ja auch Kunst sind.

Peter Fischli stellt alles einmal auf den Kopf und dann wieder andersherum. Er kehrt Hierarchien und Werte ebenso um wie Kategorien und Gewissheiten. Wertvolles wird profan. Banales wird bedeutungsvoll. Nichts ist, was es ist. Nichts bleibt, was es war. Das ist die Konstante in Peter Fischlis Ausstellung. Attrappen, Simulationen, Imitationen überall. Eines aber ist echt: das Affenporträt. Der Künstler hat es als Zehnjähriger gemalt und zeigt es im 1.Obergeschoss. Eine Etage darüber ist der Affe zweidutzendfach multipliziert: Für die Ausstellung hat Fischli ihn in 24 Reliefs aus Bauschaum übersetzt. Die Unbefangenheit und der Witz der Kindheit allerdings sind verflogen. Da hilft es auch nicht, dass Affen seit langem ein künstlerisches Sinnbild des Menschen und dessen Verhaltens sind. Das einst virtuose Spiel des Künstlerduos mit Alltagsbanalität und Metaebenen ist hier zur selbstbezüglichen und unnötig vervielfältigten Geste geworden.