Zwölf Tage, achtundvierzig Positionen, ein Block

by Kristin Schmidt

Er hat das Zeug zur Ostschweizer Biennale: Der «Geile Block» geht in die dritte Runde und zeugt erneut von der unbändigen Energie der hiesigen Kunstszene. Gestern Abend war die Vernissage in Arbon.

Wenn Laila Bock ruft, finden sie sich freudig ein: Künstlerinnen und Künstler aus dem weit verzweigten Netzwerk der bockigen Kunstfigur. Fünf Jahre ist es her, seit Laila Bock zum ersten Mal die Ostschweizer Kunstbühne betrat und sie um eine grandiose oder um sie beim Namen zu nennen: geile Ausstellungsfläche bereicherte.

Kunsträume sind rar. Laila Bock begegnet diesem Mangel mit einem unbändigen Mass an Energie, Willenskraft und persönlichen Verbindungen. Dank ihr wird jetzt zum dritten Mal ein leerstehender Bau vollständig von der Kunst erobert: 2015 im St.Galler Rotmonten, 2017 in Trogen und jetzt in Arbon.

Nicht verpassen, sondern hingehen!

Der Block ist geil, er ist gross, er ist gelungen. Das liegt nicht nur am Gebäude im ehemaligen Saurer Werk 1 auf dem ZIK Areal, das auf zwei Etagen viele, gut dimensionierte Räume bietet. Das liegt auch an allen Beteiligten. Obwohl der Block nur an zwölf Tagen geöffnet ist – Achtung: nicht verpassen, sondern hingehen! – wurde er mit sehr viel Engagement, Einfallsreichtum und Sorgfalt in ein Kunstzentrum verwandelt.

Nicht weniger als 48 Künstlerinnen und Künstler zeigen in dem langgestreckten Bau ihre Arbeiten in entsprechender Vielfalt. Sie reicht von eigens entwickelten Installationen über dichte Malereiausstellungen und Zeichnungskabinette bis zu Fotografie- und Videopräsentationen.

Manches wirkt sogar in diesem ausgemusterten Industriebau museal. Anderes greift die Geschichte des Hauses auf und legt sie offen, wieder andere Arbeiten thematisieren die Architektur oder interpretieren deren Strukturen um. Einige greifen sogar handfest ein.

Ursula Palla beispielsweise lässt eine alte Kinderschaukel dank eines Motors heftig schwingen. Die Schaukel pendelt immer weiter aus, gerät ins Schlingern, pendelt weiter, bis sie schliesslich gegen die Wände des ehemaligen Büroraumes schlägt – ein eindrucksvoller Kontrast gegenüber der stark gerasterten Zweckarchitektur, deren Wände nun stellenweise zerbröseln.

Überhaupt liefern die Büros und die damit verknüpften Assoziationen schönes Ausgangsmaterial. Vinzenz Meyner bekennt gar «Ich spielte als Kind gerne ‹Büro›» und hängt seine Arbeit mit und über Firmenbriefpapier in die passenden Aktenschränke. Christoph Rütimann hat kurzerhand ein Kulturkeulenbüro eingerichtet. Marianne Rinderknecht setzt der faden Büroatmosphäre ihre leuchtenden Bildwelten entgegen und lässt sie bis auf den Boden fliessen, so dass nun sogar der langweilige Novilon zu flirren beginnt.

Aber auch die Teppichetage bekommt ihren Teil. Bei Co-Gründler etwa wird der textile Bodenbelag Teil eines rosa-lachs-farbenen Gesamtkunstwerkes. Und Thomas Stüssi hat den zweckmässigen Spannteppich mit Kristallpartikeln besprüht, wie sie bei Autobahnmarkierungen verwendet werden, und eine quadratische Fläche beleuchtet. Dort glitzert und strahlt es nun so, dass selbst hartgesottenste Verwaltungsmitarbeiter leuchtende Augen bekämen.

Perfekt dazu passt der Vorhang für das grosse Bürotheater, doch halt: Er öffnet sich nicht nur, er fährt weiter und weiter, dreht seine Runden zwischen Zimmer und Gang. Damit verleiht Timo Müller nicht nur der Routine einen Ausdruck, sondern konterkariert auch die Formen und Grenzen der Architektur.

Herbert Weber geht mit einer Fotoinstallation und Karin K. Bühler mit einer Laserprojektion sogar über die Aussenwände des Gebäudes hinaus. Letztere lenkt mit ihrer Begeisterung für brutalistisches Bauen den Blick auf gestalterische Details, die selbst ein solches Zweckgebäude aufweist. Dieses wiederum wird von Alex Hanimann als Modell gezeigt.

Erinnerungen an den ersten «Geilen Block»

Es sind solche Querverbindungen, die immer wieder den besonderen Reiz dieser Ausstellung ausmachen, die eigentlich gar keine sein, sondern jeder Künstlerin und jedem Künstler ihren eigenen, autonomen Raum geben will. So gibt es Werke, die Erinnerungen an den ersten «Geilen Block» wecken, etwa der Raum von Teresa Peverelli. Es gibt Künstlerinnen, die sich für die Glasbausteine begeistern wie Katalin Déer und Cécile Hummel, während genau ein Stockwerk tiefer solche Glasbausteine und Durchblicke mit den Collagen von Andrea Giuseppe Corciulo korrespondieren.

Neben dem Büro ist auch der Boden ist immer wieder Thema. Er wird nicht nur bemalt, er wird auch als Druckplatte benutzt oder als Bildfläche. In zwei Räumen kommt sogar Stiftsbibliothekflair auf, denn hier stehen Filzfinken bereit: Sonja Rüegg führt auf bitzblankem Boden aus dem Wald heraus und in eine reiche Assoziationswelt hinein und Monika Sennhauser hält auf dem Boden die Sonnenreflexionen dauerhaft fest – oder zumindest bis Ende August.

Dann ist es bereits wieder vorbei mit diesem Fest der Kunst und wer dies verpasst, verpasst tatsächlich etwas. Benötigt jemand zusätzliche Motivation, die Reise zum «Geilen Block» anzutreten? Nicht nur der ein paar Dutzend Meter entfernte Bodensee lockt, sondern auch das dichte Begleitprogramm mit Führungen und Schnörkeln.