Sie malen weiter

by Kristin Schmidt

Farbtöne, Konzepte, Materie – mitunter scheint sogar noch der Geruch von Öl und Terpentin durch den Ausstellungssaal zu wehen. Das Kunstmuseum Thurgau zeigt anhand von 14 Positionen wie reich und lebendig die Malerei ist.

Sie war nie tot, sie lag nie auch nur darnieder, ihr konnten weder der Buchdruck noch die Fotografie noch die Macht des Digitalen etwas anhaben. Im Gegenteil. Die Malerei ist vital wie eh und je. Das zeigen grosse Museumsausstellungen, das zeigen renommierte Preise, die an Malerinnen und Maler vergeben werden, und das zeigt auch deren Präsenz an den Kunstgrossanlässen wie der documenta und den weltweiten Biennalen. Vielleicht ist die Malerei sogar derzeit besonders attraktiv, hat sie doch den virtuellen Welten einiges entgegenzusetzen. Was, das lässt sich in der aktuellen Ausstellung «Pinsel, Pixel und Pailetten – Neue Malerei» im Kunstmuseum Thurgau sehen.

Die Alliteration im ersten Teil des Titels wirkt zwar bemüht unterhaltsam und entspricht kaum dem ernstzunehmenden Charakter der Ausstellung, aber wenn es zu Aufmerksamkeit verhilft, dann soll dieses Mittel recht sein. Sie bietet nichts weniger als einen breiten Überblick an Konzepten, Techniken, Materialien und Formaten. Obgleich der Fokus auf der Region liegt, ist es gelungen eine ausgewogene Vielfalt an malerischen Ansätzen zu versammeln.

Die Schau startet mit der figurativen Kunst von Heike Müller (*1970 in Winterthur). Sie interessiert sich für den Bilderfundus vorrangegangener Generationen, der das kollektive Gedächtnis noch immer prägt. Alten Postkarten und Fotografien übersetzt sie in Malerei. Dabei konfrontiert sie die nostalgische Anmutung der Motive und Farben mit Kontrasten und Konturen, die heutigen Bildbearbeitungsprogrammen zu entstammen scheinen. In einer zweiten Serie porträtiert sie Männer und lenkt den Fokus aber nicht auf die Persönlichkeit, sondern auf die erotische Ausstrahlung. Damit dreht sie den Spiess von Meister und Muse um. Auch Daniela Siebrecht (*1968 in St. Gallen) widmet sich dem Bildnis und findet Wege der Transformation. Sie lässt das Antlitz eines Jugendlichen hinter einer riesigen Kaumgummiblase verschwinden. Das erinnert an die aufgelösten Gesichter bei Francis Bacon, bezieht sich aber auch auf die gefilterten Selbstdarstellungen heute. Da wird bearbeitet, verwandelt, geschönt – aber was ist Schönheit überhaupt? Karin Schwarzbek (*1969 in Egnach, TG) findet einen treffenden Ausdruck: Sie trägt verschiedene Flüssigmakeups auf die Leinwand auf. High Performance Lifting Foundation oder Perfect Teint Foundation – allein die Namen der Kosmetika erzählen von Versprechungen, Bemühungen und Sehnsüchten. Damit vollzieht die Ausstellung den Schwenk ins Konzeptuelle wie bei Lisa Schiess (*1947 in Kreuzlingen), die für ihre Bilder aus 8 x 8 Einzelkacheln eine variable Anordnung vorsieht. Andere Künstlerinnen repräsentieren dagegen die Lust an der Farbe, an Lichtstimmungen und Oberflächen. Sie untersuchen die Grenzen zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit oder wagen einen alchemistischen Zugang. Letzterer findet sich bei Günther Wizemann (*1953 in Graz). Den schwarzglänzenden Kunstharzoberflächen seiner Werke antwortet das Wendepailettenbild von Olga Titus (*1977 in Glarus). Zugleich stellt sich hier die Frage, wie weit geht Malerei?

Einen besonderen Platz in der Ausstellung haben Rachel Lumsden (*1968 in Newcastle upon Tyne) und Almira Medaric (*1992 in Doboj). Ein grossformatiges Gemälde der Einen hängt an der Stirnwand des Ausstellungsraumes und zeigt wie intensiv und symbiotisch Farbe, Materialität und Inhalt zusammenwirken können. Die Andere wird an der Aussenwand des Museums eine neue Arbeit realisieren und damit die architektonische Substanz neu interpretieren.

Solche Vielfalt und so viele Künstlerinnen. Und noch einmal dominieren die Frauen im Hause: Im Juni eröffnet die Ausstellung «Frauen erobern die Kunst» als ein Teil der Schau «Thurgauer Köpfe» in insgesamt sechs Thurgauer Institutionen. Manche der Vorgestellten waren fast vergessen, andere nicht als Künstlerinnen bekannt, sondern manchmal auch dafür, als Junge verkleidet die Weltmeere befahren zu haben. Hier sind noch einige Entdeckungen möglich.