Warum Bühler?

by Kristin Schmidt

«Du kommst an und denkst ‹Was ist das eigentlich?›.» Befremden. Verwunderung. Ratlosigkeit? In Bühler zu landen, war für Harlis Hadjidj-Schweizer weder selbstverständlich noch ein ewig gehegter Wunsch: «Bühler suchst du dir nicht aus, sondern gehst hin, wenn sich eine Gelegenheit ergibt.» Die Künstlerin lebte lange in St. Gallen, hat in Städten wie Genf und Lausanne gewohnt und schätzt das urbane Leben: «Es ist unkompliziert, du gehst aus dem Haus und begegnest Leuten. In Bühler trifft man niemanden so einfach.» Kein Markt, kein Schwimmbad, nicht einmal auf dem Spielplatz boten sich Gelegenheiten andere Menschen kennenzulernen. Harlis Hadjidj-Schweizer streifte mit ihrer Tochter durchs Dorf, oft vergebens, dann fand sie schliesslich doch den richtigen Ort: «Auf der Wiese vor dem Altersheim machte Lyna ihre Saltos und ich kam mit den alten Menschen ins Gespräch. Ich erfuhr viel über das Dorf, auch dass es Vereine für alles Mögliche gibt und Ideen sehr willkommen sind.» So entstand das Geschichtenatelier: Altersheimbewohnerinnen und -bewohner, aber auch andere Interessierte aus dem Dorf oder solche, die weggezogen sind, erzählen aus ihrem Leben; Kinder und Erwachsene lassen sich auf die Geschichten ein, gestalten Bilder, nehmen Teil an Erinnerungen, um sie im Jetzt nochmals neu zu zeigen. Dieser Initiative folgten weitere wie etwa das neu gegründete Kollektiv «Streunender Hund» und seine Ausstellungen. Die Künstlerin ist also angekommen und Kompromisse sind sowieso überall nötig: «Das ‹Aber› gibt es immer, auch in der Stadt.»

«In Zürich ist uns das Dach auf den Kopf gefallen.» Maria Nänny und ihre Familie sind nach Bühler gezogen, denn die Enge der Stadt war zu gross geworden: «Wir haben dort in einer Genossenschaft gewohnt. Das hatte zwar schöne Vorteile: Alle Familien gingen bei den jeweils anderen ein und aus. Aber oft wurde uns das auch zu viel.» Das hat sich mit dem Umzug radikal geändert, denn die nächsten Nachbarn wohnen hundert Meter entfernt: Familie Nänny wohnt in einem Bauernhaus mit umgebauter Scheune in der Rothalde am Dorfrand von Bühler. Hier ist es licht und weit. Die Enge scheint nicht so schnell näher zu kommen. Aber schliesst geografische Ferne die soziale Enge aus? Wie verhalten sie sich zueinander? Kann die Enge auch Qualitäten entfalten? Maria Nänny kennt das Stadtleben ebenso gut wie dasjenige auf dem Dorf. Sie ist in Bühler aufgewachsen, ist nach zwanzig Jahren eine Rückkehrerin: «Die Umstellung war sehr gross, aber ich wusste, was mich erwartet. Und es hilft mir, fort gewesen zu sein.» Viele Menschen im Dorf kennt Maria Nänny noch, aber auch die Netzwerke der vergangenen zwei Jahrzehnte bestehen weiter, nicht zuletzt auch dank der Arbeitswelt: Die Sprach- und Kunstwissenschaftlerin arbeitet in St. Gallen – und will das Flair von Stadt und Land verbinden: «Mit dem neu gegründeten Kollektiv ‹Streundender Hund› wollen wir die Kunst von der Stadt aufs Land holen und an unüblichen Orten zeigen.» Dass so etwas funktioniert, zeigt sich in Ausserrhoden immer wieder. Viele erinnern sich gerne an die Ausstellungen «För Hitz ond Brand» oder «à discretion» – die Neugier ist da, gerade auf dem Land.

Obacht Kultur No. 36 | 2020/1