Totgesagte leben länger

by Kristin Schmidt

Das Kunstmuseum Liechtenstein zeigt Steven Parrino. Es ist die dritte Einzelausstellung eines Künstlers aus der Sammlung Ricke, die dem Museum seit reichlich 13 Jahren gemeinsam mit dem Kunstmuseum St. Gallen und dem Museum Moderner Kunst Frankfurt am Main gehört.

«Dr. Frankenstein der Malerei» – der Künstler Steven Parrino selbst bezeichnete sich so. Er sah sich als einer, der aus Leichenmaterial etwas Neues macht; freiwillig, erst recht und gleich zu Beginn seiner Künstlerkarriere. Als er nämlich an der New Yorker Kunstakademie studieren wollte, konnte er sich nur zwischen Bildhauerei oder Malerei entscheiden. Aber von letztgenannter wurde ihm dringend abgeraten: Die sei doch sowieso schon tot. Also stürzte sich Parrino in die Arbeit, denn was tot ist, kann neu belebt werden.

Das war 1979 und für den 1958 in New York geborenen Künstler der Beginn einer fruchtbaren Auseinandersetzung. Deren Ergebnis zeigt das Kunstmuseum Liechtenstein jetzt in der ersten Parrino-Retrospektive im deutschsprachigen Raum. Höchste Zeit also für ein künstlerisches Werk, dass durch den Unfalltod seines Urhebers 2005 ein zu frühes Ende nahm. Hochaktuell ist es trotzdem, sowohl ästhetisch als auch inhaltlich.

Untergang und Neuanfang

Steven Parrino entwickelte seine Bildsprache in einer Zeit, in der die US-amerikanische Gesellschaft immer stärker von einem medial gesteuerten Konformismus geprägt war. Alternative Lebenshaltungen wurden an den Rand gedrängt. Diese Gegenkultur sah den Weltuntergang oft als einzige Lösung für einen grossen Neuanfang. So auch Parrino. In jeder einzelnen seiner Arbeiten ist sowohl die Metapher des Untergangs enthalten als auch eine neue kreative Kraft. In den «Slot Paintings» ist beispielsweise eine Fläche inmitten des Bildes ausgespart. Was zunächst wie ein Loch, eine Fehlstelle daherkommt, verbindet die Zone vor mit derjenigen hinter dem Bild und eröffnet damit einen neuen Raum. Oder die «Bent Paintings»: Ihr Bildträger ist in den Raum hinein gefaltet. Der zerstörerische Knick entpuppt sich als raumbildender Kniff.

Roh, rau, unangepasst

Am eindrucksvollsten und bekanntesten sind die «Misshaped Paintings»: Parrino bemalte die aufgespannte Leinwand mit einem einzigen Farbton. Dann löste er sie vom Keilrahmen und spannt sie neu wieder darauf, allerdings zusammengerutscht, zerknittert, verdreht, verzogen, geknickt. Die Leinwand franst aus, reisst, muss geklebt oder geheftet werden. Die Farbe blättert teilweise ab und verschwindet hinter dem Keilrahmen, stattdessen ist die unbemalte Leinwand zu sehen. Immer wieder kommt silberfarbenes Klebeband zum Einsatz und unterstreicht das Rohe, Raue, Unangepasste der Kunst Parrinos.

Tod in Amerika

Das Kunstmuseum zeigt all diese Werke nicht in einer chronologischen Abfolge, sondern unter formalen und thematischen Gesichtspunkten. Das entspricht Parrinos Arbeitsweise, Werkgruppen parallel und über lange Zeit hin zu verfolgen. Die inhaltlichen Schwerpunkte wie «Dancing on Graves» oder «Death in America» entstammen den Bildtiteln. Das Kuratorenduo Friedemann Malsch und Fabian Flückiger erklärt dazu: «Die Werktitel eröffnen eine neue Bedeutungsebene.» So sind Bezüge zur Filmindustrie oder zum Massenmörder Charles Manson nicht etwa Interpretationen der Kunstwissenschaft, sondern tatsächlich in den abstrakten Bildern enthalten: «Parrino interessierte die Gesellschaft und ihre Perversionen.» Er muss keine Abbildungen davon zeigen, sondern weckt etwa mit dem Titel «Bazooka», einer Panzerfaust, die Erinnerung an Kriegseinsätze der US-amerikanischen Streitkräfte in Korea oder Vietnam.

Die Ausstellung zeigt eindrücklich, wie Steven Parrino mit seiner Kunst Position bezog, aber niemals plakativ oder belehrend agierte. Obgleich ungegenständlich sind seine Gemälde voller Ausdruck und Engagement. Und sie entfalten selbst in den neutralen, weissen Sälen des Kunstmuseum Liechtenstein und in der klassischen Hängung eine unbändige Energie.