Bäume in der Horizontalen

by Kristin Schmidt

Entwurzelung, Instabilität, fragwürdige Dogmen – Siobhán Hapaska reflektiert globale Herausforderungen. Ihr Werk ist aber kein vordergründig politisches. Die Künstlerin erweist sich in ihrer ersten Einzelpräsentation in einer Schweizer Institution als experimentelle Plastikerin mit Gespür für Material und Inhalt.

Das Bild des in Filz eingehüllten Beuys mit Kojote und Hirtenstab hat sich tief ins kollektive Kunstgedächtnis eingegraben. Kein Wunder also, dass voluminös aufgeworfenes Tuch ausreicht, um die Erinnerung an «I like America and America likes Me», 1975 zu wecken. Das ist bei den Arbeiten von Siobhán Hapaska (*1963) nicht anders: Das gewölbte, in dicken Falten liegende Gewebe evoziert eingehüllte Körper, unterstützt von Werktiteln wie «Love» oder «Touch». Allerdings verwendet Siobhan Hapaska nicht den von Beuys symbolisch aufgeladenen Filz, sondern Betongewebe, auch als Concrete Canvas bekannt. Auch dieses hat durchaus Symbolkraft, wird es doch unter anderem für Notunterkünfte in Krisengebieten eingesetzt. Allerdings rückt die Künstlerin die Bedeutungsschwere des Materials nicht in den Vordergrund; so kann es zunächst seine stofflichen Qualitäten entfalten: Die Betonleinwand erlaubt geradezu barocke Faltenwürfe, zeichnet sich aber durch eine matte, raue Oberfläche aus. Fügt die Künstlerin Details in rotem Lack oder aus Eichenholz dazu, ergeben sich spannungsreiche formale Kontraste. Diese wiederum vermögen auch auf der inhaltlichen Ebene zu wirken und lassen sich als Bild sozialer Beziehungen lesen. Auch die mit Kunstschlangenhaut beklebten Stahlträger und dazwischen eingeklemmte rote Kunststoffblasen zeugen vom Materialsinn der Künstlerin und weisen zugleich weit über die delikaten Oberflächen und Formen hinaus: Schlange und Apfel vom Baum der Erkenntnis lassen grüssen.

In der Lokremise St. Gallen stellt die irischstämmige Künstlerin aber nicht einfach eine Auswahl ihrer Plastiken in den Raum, sondern inszeniert sie als Teil einer umfassenden Installation. Die Künstlerin hatte die Wahl zwischen einer Ausstellung im klassizistischen Bau des Kunstmuseum St. Gallen oder eben dem ehemaligen Lokomotivdepot und hat sich für die Herausforderung von letzterem entschieden. Auf das Kreissegment antwortet sie mit horizontal festgezurrten Olivenbäumen: Die Eisenbahnschienen im Boden, die Träger, Pfeiler und Raumkanten – all das wird optisch von diagonal gespannten Haltegurten zerschnitten. Ausgerechnet die drei entwurzelten und durch Elektromotoren beständig durchgerüttelten Bäume erweisen sich als zentrale Anker im Raumvolumen. Ihre Botschaft tragen die traktierten, im Mittelmeerraum heimischen Gewächse fast beiläufig mit sich, denn vordergründig agiert Hapaska nie, aber dadurch umso wirksamer.