Kunst mit Aussicht

by Kristin Schmidt

Die Galerie widmertheodoridis hat ihre Räume in Eschlikon geschlossen und macht trotzdem weiter. Die Galeristen haben ein neues Ausstellungsformat erdacht und halten unterdessen Ausschau nach neuen Orten.

Wer Weitsicht wünscht, muss hoch hinaus. Aber nicht immer ist ein Viertausender nötig oder ein Wolkenkratzer. In Eschlikon genügt für die Aussicht ein mittelgrosser Turm. So einer wie auf dem ehemaligen Ziegeleiareal. Hier, wo bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts Ziegel gebrannt wurden, ist seither eines der typischen Gewerbegebiete entstanden: gesichtslos und wenig bemerkenswert bis auf den Turm. Geradlinig überragt er die Industriebauten und macht neugierig. Denn sein schmuckloser Betonkörper ist gekrönt von einem in alle vier Himmelsrichtungen durchfensterten Kubus. Ist dies ein Stellwerk, so nahe am Bahngleis? Eine Überwachungsstation? Ein Direktorenbüro?

«Kommandozentrale» nennen Jordanis Theodoridis und Werner Widmer ihren neuen Galerieort gerne – und noch lieber «Horst». Denn von hier aus halten sie nach fünf Jahren klassischer Galeriearbeit in Eschlikon Ausschau: «Der ‹Horst› ist unsere Zwischenstation, bis wir wissen wohin.» Und er bietet die einmal mehr Gelegenheit etwas Neues zu wagen: «Wir haben immer wieder experimentiert. Das treibt uns an.» Nun zeigen sie eine nicht im Raum, sondern in der Zeit gestreckte Gruppenausstellung unter dem Titel «The Beauty and the Beast»: Zehn künstlerische Positionen fügen sich nacheinander und gehören doch zusammen.

Die erste ist Judith Villiger. Auf einer grauen Wandfläche im Erdgeschoss und im Lift sind aktuelle Arbeiten zu sehen. Villiger widmet sich starken Frauen aus der Ostschweiz, die sich gesellschaftlich engagierten und dennoch in der Geschichte unerwähnt blieben. Mit brachialen Arbeitsmethoden hat sie reproduzierte Porträtfotografien traktiert und manipuliert und daraus vielschichtige Bilder entwickelt. Sie sind der perfekte Auftakt in dieser Auseinandersetzung mit der Dualität des Wilden und des Schönen, das die Kunstgeschichte von Beginn an durchzieht und die selbst in dem Betonbau noch eine Entsprechung findet.

Interessierte sollten sich den 15. jeden Monats vormerken. Dann finden jeweils ein Künstlerdialog und ein Publikumsgespräch statt. Danach ist die Ausstellung nur noch auf Vereinbarung zu besichtigen. Ist dies ein Zugeständnis an das Besucherverhalten, das sich auf Eröffnungen und Ereignisse konzentriert? Werner Widmer bestätigt, dass es für Galerien schwieriger geworden ist, zu regulären Öffnungszeiten viele Gäste anzuziehen, aber beim «Horst» gehe es grundsätzlich um etwas Anderes: «Bei diesem Galerieformat steht die Kunst im Vordergrund nicht der Kommerz.» So bekommen die Künstlerinnen und Künstler nicht einfach einen Raum im «Horst», sondern eine Bühne. Ihre Arbeit wird nicht nur präsentiert, sondern intensiv diskutiert und analysiert – zehnmal bis einschliesslich 15. August. Dann ist die Gruppenausstellung vollständig, und vielleicht hat bis dahin auch der Ausguck hoch über Eschlikon seinen Zweck erfüllt, und Jordanis Theodoridis und Werner Widmer wissen, wohin die Reise geht. Was aber schon jetzt sicher ist, die beiden werden das Galeriewesen einmal mehr neu erfinden.