Kunst schenken? Lieber tauschen!

by Kristin Schmidt

Künstlerinnen und Künstler tauschen. Das Interesse an den Arbeiten Anderer ist gross und der Tausch ist ein Zeichen von Wertschätzung und erleichtert das Inkontaktbleiben.

Am Schluss kommt der grosse Tausch: Die Künstlerinnen und Künstler holen ihre Arbeiten ab, sie kommen ins Gespräch, ihre Kunstwerke im Postkartenformat wechseln die Hände: «Die Atmosphäre ist sehr schön!» Birgit Widmer gerät ins Schwärmen, wenn sie von den Ausstellungen in der Bahnstation Strahlholz erzählt und vom Kunsttausch am Ende des Ausstellungswochenendes. Seit vielen Jahren schon wird das Strahlholz für zwei Tage vom «Halt auf Verlangen» zum Halt für die Kunst. Und weil alle Kunstwerke gleich gross sind und gleich viel kosten, nämlich dreissig Franken, ist das Tauschen einfach. Aber verschenkt wird auch: «Die Künstlerinnen und Künstler freuen sich über die Aktion und schenken eine Postkarte als Dank für die Arbeit», sagt Birgit Widmer und betont zugleich, der eigentliche Wert eines Werkes spiele unter Künstlerinnen und Künstler weniger eine Rolle. «Man weiss, worum es geht, wenn man künstlerisch arbeitet.» Nämlich nicht um den Aufbau einer Kunstsammlung, sondern «um den Austausch, um die Gedanken aneinander», betont HR Fricker. Der Trogener Künstler ist einer der Pioniere der Mailart-Szene. Diese Künstlerinnen und Künstler sandten sich bereits in den 1980er Jahre Arbeiten per Post zu, «weil sie nicht mehr aus der Kunstgeschichte lernen und ihre Anregungen bei Picasso oder Duchamp suchen wollten, sondern bei jenen, die jetzt schaffen», so HR Fricker. Eine zweite Motivation war die gegenseitige Wertschätzung: «Per Post schenken sich Mailart Künstler auch Aufmerksamkeit und fordern einander auf, dran zu bleiben, weiterzumachen.» Diesen Austausch hat das Internet verändert, HR Fricker beobachtet auch dort, woran Künstlerinnen und Künstler arbeiten. Aber wenn ihm Werke gefallen, fragt er an, ob die Originale zu kaufen seien, denn für den Tausch ist der persönliche Bezug wichtig. Das bestätigen auch Ueli Alder und Nora Rekade. Beide haben vor allem im Studium und im Anschluss daran viel getauscht. Für den Urnäscher war es jeweils eine besondere Freude, nicht die perfekten Fotografien zu tauschen, sondern jene Prints «die abverhait sind, die man selber behalten hat, weil sie speziell sind. Arbeiten ausserhalb des Kontextes, die gerade nicht im Katalog oder in der Galerie gelandet sind, sind viel spannender.» Und solche erhält man eben nur durch einen guten persönlichen Kontakt. Zudem bieten diese getauschten Werke wertvolle Erinnerungen an das gegenseitige Interesse aus der Studienzeit, «als sowieso niemand Geld hatte», so Nora Rekade.

Auch für Vera Marke ist die Nähe zu den Künstlerinnen und Künstlern Voraussetzung: «Kunst schenken und tauschen hat etwas Intimes. Ich tausche nicht mit jedem.» Aber wenn sie tauscht, kann sich daraus ein jahrelanger Prozess entwickeln; so hat die Herisauer Künstlerin mit HR Fricker halbjährlich Kunst getauscht und regelmässig auch Kunst in Postkartengrösse mit Birgit Widmer. Schenken ist hingegen heikel: «Es gibt Künstler und Künstlerinnen, die im Verdacht stehen, Bestechungsgeschenke zu machen oder sich einschmeicheln zu wollen. Meinen Studentinnen und Studenten bringe ich bei, dass es wichtig ist, sich rar zu machen und den eigenen Wert zu kennen.»

Vera Marke schwärmt von einer Arbeit, die sie von Thomas Stüssi erhalten hat, die eigentlich ein Teststück von seinem «Slow Flow» für den Schaukasten Herisau ist. Sie gehört also zu den Stücken wie sie Ueli Alder beschreibt, zu den Überbleibseln, den Recherchematerialien, den Experimenten. Eine klassische vorbereitende Arbeit sind Zeichnungen, so eine hat Vera Marke sogar noch zugute von Thomas Stüssi: «Vera hat noch etwas ausstehen. Eine Zeichnung im Zusammenhang mit meiner Diamantensuche.» Aber auch Stüssi hat etwas ausstehen, wie Nora Rekade berichtet: «Als wir über meine Arbeiten sprachen, sagte er, eine gefalle ihm besonders, und ich entschied, er bekommt sie zum 40. Geburtstag. Das war im vergangenen Jahr.» – und so bleibt der Prozess in Gang, die Verbindungen bestehen, der nächste Tausch folgt.

Obacht Kultur No. 34, Heft 2/2019