Grenze als Konstrukt

by Kristin Schmidt

Die israelische Künstlerin Ella Littwitz blickt über die Grenzen und das Mittelmeer. In ihrer Ausstellung in der Kunst Halle Sankt Gallen präsentiert sie aktuelle und eigens entstandene Werke.

Das Mittelmeer – Schauplatz alter Heldenepen und aktueller Konflikte, Sehnsuchtsziel von Sonnenhungrigen und Kulturreisenden, Wasserweg zwischen drei Kontinenten und fast zwei Dutzend Anrainerstaaten, Massengrab und Ökosystem – ein Geflecht zwischen Grenzen, Geschichten und Gesellschaften, für das Ella Littwitz ein ebenso einfaches wie eindrückliches Bild gefunden hat: Die israelische Künstlerin (*1982) hat in der Kunst Halle Sankt Gallen Autoreifen aufgehäuft und Geozellen darüber ausgebreitet. Das schwarze, ausfransende Geschwür lässt sich als Negativform des Mittelmeerbeckens lesen, dessen Küsten unzertrennlich miteinander verbunden sind und doch für viele Migrantinnen und Migranten unerreichbar bleiben. Ella Littwitz wohnt und arbeitet in Jaffa-Tel Aviv und erlebt damit nicht nur das Mittelmeer aus nächster Nähe, sondern auch territoriale Konflikte, Propagandapolitik und deren gesellschaftliche Konsequenzen. In diesem schwierigen Umfeld bewahrt sich die Künstlerin einen unabhängigen, kritischen Blick. Ihre Arbeiten setzen sich auf poetischen, erzählerischen, sinnlichen Wegen kritisch mit nationalistischen Ideologien und dem Konstrukt der Grenze auseinander. Neu für die Ausstellung wurde der Bronzeguss «The Promise» produziert. Er ist das detailgetreue Abbild eines Baumstumpfes: Theodor Herzl pflanzte eine Zeder 1898 als Zeichen für jüdische Siedlerinnen und Siedler. Nicht einmal zwanzig Jahre später wurde der Baum, der sich inzwischen als Zypresse erwiesen hatte, niedergebrannt. Dem in einem eisernen Käfig präsentierten Stumpf kommt inzwischen der Rang eines Denk- und Mahnmales zu, den Littwitz durch die Transformation in Bronze einerseits aufzeigt und andererseits ironisiert, denn rational betrachtet werden die verkohlten Überreste eines Baumes instrumentalisiert. Demgegenüber spricht Dittrichia viscosa für sich: Ella Littwitz zeigt einen filigranen Bronzeabguss jener Pionierpflanze, die frisch gerodete Böden im Mittelmeerraum als erste besiedelt, keine anderen Gewächse neben sich duldet und selbst von Tieren gemieden wird.

Ob Littwitz arabische Frauen die Grundrisse alter Mehl- und Walkmühlen in Galiläa auf israelische Tischdecken sticken lässt oder Sand all jener Länder sammelt, in denen Menschen mit israelischem Pass nicht einreisen dürfen, – immer gelingt es ihr unaufgeregt und selbstbewusst das Trennende zu thematisieren und zugleich zu überwinden. ks