Zwiegespräche unter Kunstwerken

by Kristin Schmidt

Thomas Struths Werke sind regelmässig in grossen Kunstinstitutionen zu sehen. Nun hat der in Berlin lebende Künstler zum ersten Mal selbst eine Ausstellung erarbeitet. Er zeigt seine eigenen und die Werke anderer Künstler aus der Hilti Art Foundation in einer sehenswerten Schau.

Der Dschungel trägt noch immer den Nimbus der unberührten Natur. Dort, wo der Urwald am undurchdringlichsten ist, wo noch keine Schneisen zu Goldminen oder Rodungen führen, wo noch keines Menschen Schuh seinen Abdruck hinterlassen hat, dort sind Ursprünglichkeit und Unverdorbenheit zu vermuten, kurz: das Paradies.

«Paradise» betitelte Thomas Struth seine 2005 entstandene Serie von Naturaufnahmen. Grossformatige Bilder wuchernder Wildnis, grün, üppig, unberührt, und doch – die Fotografien beweisen es – einer war mindestens hier. Der Künstler selbst hat sich den Dickichten aus Stämmen, Lianen, Blättern und Zweigen genähert und sie in ein Bild übersetzt. Schön. Gerahmte, verglaste Oasen an der Wand.

Struths Fotografien sind ein Fest fürs Auge mit ihren sorgfältig ausgewählten Motiven, der Komposition, den Farben, dem Licht. Der Künstler beherrscht sein Metier. Studiert hat er es von 1973 bis 1980 an der Düsseldorfer Kunstakademie, zuerst bei Gerhard Richter dann bei Bernd Becher, der mit seiner Frau Hilla Becher die Düsseldorfer Fotoschule begründete. Aber in Struths Bildern steckt viel mehr als gutes Handwerk und eine hohe ästhetische Qualität. Der Künstler reflektiert mit jedem Bild, mit jeder Bildserie die Rolle des Menschen in der Welt. Er setzt sich auseinander mit der gestalteten Umwelt, mit der Einflussnahme des Menschen auf diese Welt, aber auch mit den Momenten, in denen es kippt, in denen die Zustände immer komplexer werden und der Mensch seine Schöpfungen nicht mehr vollständig zu kontrollieren vermag.

Dieses ambivalente Verhältnis zeigt sich besonders eindrücklich in der ersten Ausstellung, die Struth selbst kuratiert hat. Unter dem Titel «Composition ´19» lässt er 13 seiner eigenen Werke aus der Vaduzer Hilti Art Foundation mit 17 Gemälden und Plastiken anderer Künstler aus ebendieser Sammlung in einen Dialog treten. Das ist insgesamt eine überschaubare Zahl an Werken, aber umso präziser sind die Gegenüberstellungen. Hier, im Ergänzungsbau des Kunstmuseum Liechtenstein, ist nichts dem Zufall überlassen, oder wie es der Künstler formuliert: «Es gibt für jedes Bild nur einen besten Platz.» Den hat Struth zweifelsohne gefunden.

Für den Einstieg in die Ausstellung im dreieckigen Untergeschossraum des Museums inszeniert Struth ein Terzett: Einem Frauentorso von Wilhelm Lehmbruck folgt eine Fotografie zweier Touristinnen vor Velazquez-Gemälden im Prado, gegenüber antworten zwei Aufnahmen aus einem Schaltwerk in Berlin. Hier treffen sich Selbstinszenierung, Idealgestalt und technische Gerätschaften. In den Dimensionen der letztgenannten kann sich der Mensch verlieren und bleibt doch stets verantwortlich dafür. Das nächste Stockwerk rückt noch näher an die komplizierte Verflechtung von Mensch und Technik heran. So findet hier Fernand Légers tubische Konstruktion ihre Steigerung in einem «Blowout Preventer», einer Apparatur für das umstrittene Fracking, der sein visuelles Gegenüber etwa in einer Abstraktion von Gerhard Richter findet. Im dritten Raum schliesslich spannt sich der Bogen vom profanen Lebensumfeld bis zu den Sehnsuchtsorten, dem Grossen, Fernen, Anderen. Wenn beispielsweise Alberto Giacomettis «Buste d’homme (Eli Lotar II)» in den grünen Dschungel blickt oder ein schäbiger Winkel in St.Petersburg auf die erhabene Rothko-Chapel trifft, beginnt sich das Assoziationenkarussell zu drehen. Thomas Struth erweist sich in dieser Ausstellung als feinfühliger und scharfsinniger Kurator, der nicht einfach die eigenen Arbeiten auf die bestmögliche Weise präsentiert, sondern gekonnt auswählt aus einer Sammlung von Kunstwerken anderer Künstler und sie auf ideale inhaltliche und formale Weise mit seinen eigenen Bildern verschränkt.