Schweizer Van Gogh oder eigenständiger Naiver?

by Kristin Schmidt

Genie, Aussenseiter, Naiver, tragischer Expressionist, Art Brut-Maler – Antonio Ligabue ist mit vielen Klassifizierungen versehen worden. Nun betitelt ihn das Museum im Lagerhaus in St. Gallen als den «Schweizer Van Gogh» und versucht damit eine neue Einordnung in den Kanon der kunsthistorisch etablierten Moderne. Mit der Ausrichtung des Museum im Lagerhaus als Ausstellungs- und Sammlungsinstitution für schweizerische Naive Kunst und Art Brut findet die Positionierung Ligabues zwar bereits auf abgestecktem Feld statt. Dennoch gibt es lohnenswerte neue Ansichten auf ein künstlerisches Werk, das nicht einfach eine schweizerische Variante des niederländischen Postimpressionisten liefert.

Etwas einschränkend wirkt die starke Fokussierung der Ausstellung auf die Biografie Ligabues, auf seine Zeit bei einer Pflegefamilie in St. Gallen, seine Unterbringung im Waisenhaus in Marbach und seine Schulerfahrungen dort, seine Ausweisung nach Italien, die Schwierigkeiten in einem Land, dessen Sprache er nicht mächtig war, und schliesslich seine Einweisung in psychische Anstalten und seine späte Anerkennung. Aber es wird auch der Versuch unternommen, ihn den anderen ungelernten Meistern seiner Zeit an die Seite zu stellen und sein Schaffen aus Ostschweizer Sicht zu bewerten. Die Ausstellung zeigt schlüssige Vergleiche mit dem Thurgauer Adolf Dietrich; sie rekonstruiert, wo und wann Ligabue mit der Appenzeller Bauernmalerei in Berührung gekommen sein könnte; und sie zeigt einige Parallelbeispiele von Arbeiten, die in Heil- und Pflegeanstalten entstanden. Dies alles setzt einen inhaltlichen Rahmen, innerhalb dessen das eigentliche Schwergewicht den ausdrucksstarken, farbenprächtigen Gemälden Ligabues zukommt. So basieren seine Darstellungen exotischer und heimischer Tiere zwar wie diejenigen Dietrichs auf gängigen Sammelbildern und Vorlagenbüchern, doch auch Ligabue gelingt es, sie in seinen Ölgemälden vital, ursprünglich und individuell zu zeigen.

Besonders beeindruckt die ausgestellte Serie der Selbstporträts: die Augen hart zur Seite gerichtet, um die Fehlsichtigkeit zu kaschieren, die Züge markant, der Ausdruck geprägt von einer skeptischen Distanziertheit als Resultat der Lebenserfahrungen Ligabues. In diesen Selbstporträts – mal mit Libelle, mal mit Fliege, mal mit selbst zugefügten Verletzungen – liegt eine eigenständige Kraft, die keine Legitimation durch den oft vorgenommenen Hinweis auf van Gogh benötigt.