«Schön, wenn sie kommen…»

by Kristin Schmidt

Die Casino Gesellschaft Herisau präsentiert im Alten Zeughaus innovatives Ostschweizer Kunstschaffen. Die Kunstschaffenden Micha Treuthardt und Cornelia Gann, Frank Keller und Anita Zimmermann zeigen neue Arbeiten, die speziell für den Ort und die Situation entstanden sind.

Erst ist Stille. Die Maschine gibt weder einen Ton von sich, noch tritt sie in Aktion. Plötzlich setzt sich das Flügelrad in Bewegung, schwingt hin und her, begleitet von einem Windgeräusch, dann ist wieder Stille. Was für ein Gerät ist das? Das Künstlerduo Treuthardt.Gann gibt mit seinen Werken Rätsel auf. Wir sind es gewohnt, dass die uns umgebende Technik einen bestimmten Zweck erfüllt. Aber wozu könnte dieses andere Ding dienen mit seinen Ausbuchtungen? Eine Melkmaschine ist es nicht, denn keine Kuh hat so viele Zitzen wie dieser Apparat Gegenstücke dazu. Im Gegenteil, plötzlich wirkt er selbst wie ein Euter, blasen sich doch kleine rosafarbene Kuppen auf. Die Schläuche vibrieren, der Zeiger des Messgerätes zeigt etwas an. Aber was? Ebenso plötzlich wie der Vorgang einsetzt, ist er wieder zu Ende.

Treuthardt.Gann konstruieren aus Fotografien verschiedener technischer Fundstücke Maschinen, die auf den ersten Blick scheinbar alltäglich erscheinen, auf den zweiten aber irritieren und faszinieren. Mit absurden und zugleich poetischen Apparaten verwandeln sie das Erdgeschoss des Alten Zeughauses Herisau in einen Maschinenpark, der keiner ist. Die Dinge entwickeln ein seltsames Eigenleben und stellen die Frage nach Sinn und Zweck des Daseins und seinen Kreisläufen.

Dass alltäglich anmutende Materialien und Gegenstände zum Denkanstoss in einem weitaus grösseren Zusammenhang werden, zieht sich wie ein roter Faden durch die von Ursula Badrutt Schoch kuratierte Ausstellung. Sie wählte für die jährlich von der Casino Gesellschaft Herisau veranstaltete und von der Ausserrhoder Kulturstiftung unterstützte Präsentation junge Künstlerinnen und Künstler aus, die Versatzstücke des Alltags in neue Kontexte stellen und für grundlegende Aussagen zugänglich machen. So begegnet dem Betrachter im ersten Stock des Zeughauses eine schier unübersehbare Menge an bunten T-Shirts. Es gibt grosse und kleine, kurz- und langärmlige, bedruckte und beschriebene. Der in St. Gallen lebende Künstler Frank Keller verwendet für seine Installation gebrauchte T-Shirts und hängt sie dicht an dicht. Der Betrachter ist eingeladen, das wogende Feld aus Kleidungsstücken zu durchschreiten bis er am anderen Ende des Raumes vor dem Titel der Arbeit steht: «AR 1969-2005». Er verweist auf die dem Werk zugrunde liegende Statistik: Zwischen 1969-2005 haben sich 518 Menschen im Kanton Appenzell Ausserrhoden das Leben genommen. Obgleich diese Daten öffentlich zugänglich sind, sind sie mit einem Tabu belegt. Frank Keller, der ab 1969 in Herisau lebte, bricht dieses Schweigen, indem er die Zahl auf subtile Weise der abstrahierenden Statistik entreisst. Er will keine Erklärungsmodelle und Antworten liefern, sondern schafft ein Erinnerungsstück, das gleichzeitig zum Nachdenken anregt. Shirt-Aufdrucke wie «Express Yourself» oder «Life is funny» werden im Kontext der visualisierten Suizidfälle zu befremdenden Einblicken in Sozialstrukturen.

Einen nicht weniger hintergründigen Blick auf gesellschaftliche Stereotypisierungen inszeniert die in St. Gallen lebende Künstlerin Anita Zimmermann mit ihrer Arbeit «Schön, wenn sie kommen …». Wladimir und Vitali Klitschko, die beiden in Berlin lebenden Boxmeister, sind auf riesigen Formaten festgehalten. In einem Raster aus drei mal drei Metern ist ein Labyrinth aus Plas-tikplanen aufgespannt, die gleichzeitig die Bildträger für Zimmermanns Kugelschreiberzeichnungen sind. Der Betrachter wandelt zwischen nahezu transparenten Wandelementen und sieht sich immer wieder mit der Kraft und Vitalität der beiden boxenden Brüder konfrontiert. Spannend sind dabei sowohl die Werkarchitektur selbst, die immer wieder Rück-, Durch- und Seitenblicke erlaubt, als auch die Wirkung des ungewöhnlichen Zeichenmaterials. Plastik ist ein widerspenstiges Material, wenn es mit Kugelschreiber bearbeitet wird. Immer wieder setzt das Blau aus oder es gibt dort, wo viel schraffiert wird, Beulen und Narben. Das durchscheinende Licht fängt sich in den Linien, sodass die Zeichnungen beinahe in die Immaterialität entschwinden. Die offensiv zur Schau gestellte Stärke der Porträtierten steht im Kontrast zur Verletzbarkeit und Durchsichtigkeit des Materials. Die vitale Geste gefriert in der Übertragung der Fotovorlage in eine Zeichnung zur Pose, das Lachen zur Grimasse. Zimmermanns Arbeit enttarnt die Motivvorlage als Klischeebild einer Welt voller Erfolg und Schönheit.Drei Stockwerke, drei Raum-installationen, drei verschiedene Arten auf die uns umgebende Alltagswelt zu reagieren: Vom dunk-len, klangvoll tönenden Maschinenraum über die berührende Kleidersammlung bis hin zur lichtdurchschienenen Präsentation der Götter aus der Welt des Sports spannt sich der im Raumgefüge sinnvoll präsentierte Parcours. Alle Werke entstanden für diese Ausstellung und treten, obwohl sie als Einzelpositionen konzipiert wurden, in einen geistreichen Dialog.