Filme in digitalen Zeiten

by Kristin Schmidt

Zwei Arbeiten im räumlich klaren, lichtdurchfluteten Foyer des Kunsthauses reichen aus, um das breite Themenfeld Tacita Deans abzustecken. Die britische Künstlerin beschäftigt sich mit Naturgewalt und Mensch, mit Mythos und Erinnerung und mit der Kunst selbst.

Ihre grossformatigen Kreidezeichnungen haben Tacita Dean berühmt gemacht: Bilder von Wolken, von Schiffen, vom Meer, festgehalten mit weisser Kreide auf schwarzem Grund. Auch im Kunsthaus Bregenz bilden zwei Kreidezeichnungen der Künstlerin den Auftakt der Ausstellung. Die eine zeigt eine Lawine im Montafon und bezieht sich auf drei legendenumwobene Lawinenabgänge im 17. Jahrhundert. Die andere Zeichnung bildet ihr eigenes Material ab: einen Kreidefelsen. Wie der zu Tal rauschende Schnee, Stürzt auch die Kreideklippe ins Meer und löst sich in weissem Dunst auf. Bewusst schlägt Tacita Dean mit dieser atmosphärischen Bildstimmung den Bogen zur englischen Landschaftsmalerei William Turners. Ihre künstlerischen Bezüge reichen aber noch viel weiter zurück.

Fast 2500 Jahre sind seit der Uraufführung von Antigone vergangen und noch immer ist Sophokles´ Stück unvergessen, wird in Schulen gelesen und auf Bühnen aufgeführt. Auch Tacita Dean hat sich mit dem Stoff über zwanzig Jahre lang beschäftigt. Nicht nur, weil ihre ältere Schwester nach der Tragödienheldin benannt ist, sondern weil sie die Fragen nach dem Schicksal und der Position des Menschen in der Welt interessieren. In zwei synchron projizierten 35-mm-Filmen schickt die Künstlerin Ödipus, den blinden, gebrechlichen Vater Antigones, für die Dauer einer Sonnenfinsternis auf eine unbestimmte Reise.

Tacita Dean versteht sich nicht als Erzählerin linearer Geschichten, sondern zeigt in den parallelen Projektionen den Dialog zwischen Vater und Tochter, zwischen den Schwestern, zwischen Mensch und Natur und immer wieder zwischen der Kunst und ihren Medien: Hartnäckig hält Tacita Dean am Film fest. Im Gegensatz zum digitalen Video, das letztlich aus Nullen und Einsen besteht, vereinen sich im Film Materie und Licht. Dean liebt diese Sinnlichkeit des Materials, seine Möglichkeiten, aber auch seine Geschichte. In ihrem Werk „Film“ bringt sie auf ebenso einfache wie anschauliche Weise all diese Aspekte auf die Leinwand. Sie arbeitet mit frühen Filmtechniken, koloriert von Hand, stanzt Kreise aus, deckt Teile ab und setzt Elemente neu ein. Die Sujets reichen von Architektur bis Natur, von Gebrauchsgegenständen bis zu geometrischen Körpern. Gleich einer Enzyklopädie der Farben und Formen spiegelt die Arbeit die Welt und die Kunst, denn auch die Tate Modern als Ausstellungshaus kommt immer wieder ins Bild. Zudem sind die Perforationen für den Filmtransport an beiden vertikalen Rändern zu sehen und damit die Machart des Kunstwerkes.

Tacita Dean sucht bewusst den Kontrast zur digitalen Technik, die alle Fehler tilgt, Entstehungsprozesse unsichtbar und Ergebnisse manipulierbar lässt. Auch sinnliche Erlebnisse gehen mit der Digitalisierung verloren. Besonders deutlich wird dies bei Deans sechsteiliger Filminstallation einer Performance von Merce Cunningham. Der weltberühmte Tänzer interpretiert das bekannteste Stück von John Cage: Die tonlose Komposition 4´33´´. Statt der Stille rattern im zweiten Obergeschoss des Kunsthauses sechs Filmprojektoren. Deren Geräusche mischen sich mit dem aufgenommenen Strassenlärm und entfernten Klaviertönen. Der gealterte Cunningham ist aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen, die Bilder zittern leicht und die Spiegelflächen im Ballettsaal sind fleckig. Die Blickwinkel der sechs Projektionen lassen eine grosse Nähe zu und laden ein, sich im Raum zu bewegen, wobei die Schatten der Anwesenden unwillkürlich Teil der projizierten Bilder werden – und wieder thematisiert Tacita Dean den Menschen in ihrer Arbeit.