Der Kunstraum als Energiezentrale

by Kristin Schmidt

Erst die Arbeit, dann die Präsentation: Kunstausstellungen zeigen Resultate für eine bestimmte Dauer in einer fixen Konstellation. Florian Germann durchbricht dieses Schema. Seine Ausstellung im Kunstraum Kreuzlingen hat zwar einen Beginn und ein Ende, aber dazwischen bleibt nichts, wie es anfangs ist.

Florian Germann ist ein rastloser Künstler, und einer mit einem breit aufgefächerten Interesse an der Welt. Das reicht von Blockbusterkino und Filmmusik über Physik und Wetter bis hin zu Fahrzeugtechnik oder Gestaltung des öffentlichen Raumes – Gebiete, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben, aber auf den zweiten umso mehr. Diesen zweiten Blick lohnt Germanns Ausstellung unbedingt und jede Woche wieder neu. Jede Woche zeigt sich ein anderes Bild. Immer wieder interveniert der Künstler, verändert, entwickelt weiter, dokumentiert und beginnt von Neuem.

Der Kunstraum Kreuzlingen wird in seiner Gänze zum Labor. Kabel und Schläuche liegen auf dem Boden, Elektrogeräte sind angeschlossen, Konstruktionsgestänge sind gestapelt, Sand ist aufgehäuft. Im Sand jedoch liegt ein Klettergurt. Diese Anordnung irritiert. Der Künstler legt mit ihr eine Spur zu seiner Arbeit: Noch vor der Eröffnung der Ausstellung hat er sich von einer Zugrolle und angetan mit dem Klettergurt durch den Sand ziehen lassen, mitten durch den aufgehäuften Grat. Auf diese Weise sind aus einer Krete zwei geworden. Germann spielt im Kleinen und in Minuten durch, was sich im Grossen in Jahrmillionen ereignet oder bei heftigen tektonischen Ereignissen auch schneller. Er inszeniert geologische Prozesse wie Reibung, Erosion und Sedimentablagerung und entwickelt gleichzeitig eine vergängliche Skulptur. Noch flüchtiger ist die Wolke, die er eigens für die Ausstellung mit Rauchmaschinen, einem Druckbehälter und anderen zweckentfremdeten Geräten konstruiert hat. Sie war nur einen Abend lang zu sehen, wird aber auf der Website des Künstlers durch ein Video ebenso dokumentiert wie alle anderen Performances und Veränderungen in der Ausstellung. Das Schmelzen, das Donnern, die Erschütterungen und der Nebel – die Website liefert die Ton- und Materialenzyklopädie zur Ausstellung. Dennoch ist der Besuch vor Ort unabdingbar, denn nur hier zeigt sich die Präzision der Arbeiten Germanns. Obgleich alle Werke ihre Gestalt verändern oder bereits verändert haben, besitzen sie jederzeit eine gültige Form und beweisen das Gespür des gelernten Steinbildhauers.

Wärme, Hitze, Licht – alles kann unter den Händen Germanns Skulptur werden. Eine mit Epoxidharz abgegossene Campingtischplatte wird beispielsweise vors Fenster gehängt zur Sonnenscheibe und geschmolzenes Baumharz visualisiert die Wärme eines Motorblocks. Florian Germann macht den Kunstraum Kreuzlingen zum Ballungszentrum der Energien. Sie wirken aber nicht nur chemisch und physikalisch, sondern auch kulturell. Vor allem düstere Zukunftsvisionen aus der Filmgeschichte haben es dem Künstler angetan, Filme, deren gigantische Explosionen sich ins Hirn brennen, aber auch solche, die langsam durch postapokalyptisch anmutende Landschaften führen. Nicht von ungefähr erinnern die ausliegenden Metallgestänge an Schienensysteme für Kamerafahrten und aus einem Regenfass erklingen stark verfremdete Filmkompositionen. Auch das schwarze Stiefelpaar entstammt diesem Kontext. Einst wurde es in einem weltbekannten Science Fiction-Film getragen, nun wird Germann im Verlaufe der Ausstellung damit durch eine Kreuzlinger Tiefgarage stapfen und den Druck der Sohlen in Töne verwandeln: auch Klänge können Skulptur sein. In Florian Germanns Arbeit ist nichts ausgeschlossen, sondern alles zu einem vielstimmigen Ganzen verbunden.