Jungspund ist anders.

by Kristin Schmidt

Festivals prägen. In ihrer Dichte, ihrer Atmosphäre, ihrer Intensität sorgen sie bei Gästen und Beteiligten für bleibende Eindrücke. Aber auch die Städte und Quartiere verwandeln sich unter dem Einfluss von Festivals, denn sie bringen Menschen in Bewegung: Fachleute und Publikum reisen an, sie wechseln von einem Veranstaltungsort zum anderen, sie verweilen, sie frequentieren Plätze ausserhalb des eigentlichen Festivalzentrums.

Das gemeinsame Interesse am Inhalt schweisst die Gäste und die Beteiligten eines Festivals zusammen, aber die Begeisterung zieht stets auch Kreise über das Festival hinaus. Idealerweise springt der Funke über und verbreitet sich in der Stadt – Festivals entfalten einen Sog, so verwundert es nicht, dass sie zur Imagebildung und zu Vermarktungszwecken eingesetzt werden. Längst wird von einer Festivalitis gesprochen, wenn es nicht mehr um Inhalte geht, sondern um Übernachtungszahlen und Aussenwirkung.

Jungspund ist anders. Jungspund ist nicht einfach ein zusätzlicher Anlass in einer mit Festivals gesättigten Sparte, Jungspund springt in die Lücke. Seit Jahren fehlte den professionellen Theaterschaffenden für ein junges schweizerisches Publikum eine national und international beachtete Plattform, um ihr Schaffen zu präsentieren und sich zu vernetzen. Eine Leerstelle, die umso mehr schmerzte, als Theater von direkter, unmittelbarer Kommunikation und persönlicher Wertschätzung lebt, erzählen doch die Schauspielerinnen und Schauspieler eine Geschichte für ihr Publikum. Für ein junges Publikum: Jungspund richtet sich an Kinder und Jugendliche, ein Publikum also, das selbstverständlich mit virtuellen Erlebnissen in einer digitalisierten Welt aufwächst und mit der Welt des Filmes früh vertraut ist. Wie gut, dass Theater da für Irritationen sorgen kann. So entspann sich nach «Knapp e Familie» des Theaters Sgaramusch eine Diskussion darüber, wann ein Baum ein Baum ist. Ist ein Baum auf der Kinoleinwand echter als ein zu einem Baum verwandelter Besen auf der Bühne? Was ist real und was nicht? Kommt der Musiker zu «Block 47C» von Andi Peter und Andi Wettstein wirklich zu spät? Gab oder gibt es den Skispringer, Schulversager, Rabenmensch und Holzschnitzer aus «Herzwerk» der TRIAD Theatercompany tatsächlich? Und was ist überhaupt Theater? Ist «Block 47C» ein Theaterstück oder ein Konzert? Und «.h.g.» der Tessiner Kompanie Trickster-p? Ist das Theater, wenn niemand auf der Bühne steht, wenn es gar keine Bühne gibt, sondern einen echten Märchenwald und ein Lebkuchenhaus, das sogar duftet? Märchenwald? Kann grimmschen Märchen noch etwas Neues abgewonnen werden? Lassen sich altbekannte und bis zur Unkenntlichkeit verniedlichte Geschichten heute noch so erzählen, dass sich eine Gänsehaut einstellt?

Jungspund ermöglichte solche berührenden und prägenden Theatererfahrungen. Es wurden Kategorisierungen ad absurdum geführt, es wurden Gefühle geweckt und Fragen aufgeworfen, für die es keine vorgefertigten Antworten gab. Stattdessen durfte kommuniziert werden. Auch im Rahmenprogramm stand der Austausch im Vordergrund. Kompanien und Theaterschaffende hatten die Gelegenheit, ihre Arbeit vorzustellen, Rückmeldungen anderer Fachleute zu erhalten und Vermittlungsmöglichkeiten zu diskutieren. Wie wichtig das Gespräch ist, zeigte sich aber auch für die jungen Gäste: Im «Kiosk à Gogo» ging es nur vordergründig darum, entbehrliche Dinge aus dem eigenen Kinderzimmer gegen verheissungsvolle Objekte aus dem Kiosk einzutauschen. Viel wichtiger war es, ideelle und sachliche Werte zu verhandeln, sich hineinzuversetzen in potentielle andere Interessenten.

Jungspund hat Grenzen aufgelöst und Impulse gegeben, das Theater auch in der Musik, der Literatur, dem Tanz und der Performance zu verorten. Überdies hat es sich der Teilhabe aller Kinder und Jugendlicher an künstlerischen Ausdrucksformen verschrieben. Dieses vielgenannte kulturpolitische Ziel ist nicht nur mit Schulvorstellungen eingelöst worden, sondern auch mit der Vielfalt des Programmes, einer Vielfalt, die auch dank der Zusammenarbeit etablierter St.Galler Institutionen mit der freien Theaterszene zustande kam. In der sechsköpfigen Programmgruppe waren sowohl Verantwortliche des FigurenTheaters St.Gallen und des Theaters St.Gallen als auch Künstlerinnen und Künstler der freien schweizerischen Theaterszene vertreten. Die ausgewählten Inszenierungen stammten aus allen Sprachregionen des Landes, zwei davon wurden als Koproduktionen mit Jungspund realisiert, zwei weitere entstanden im FigurenTheater St.Gallen und dem Theaters St.Gallen und feierten ihre Premiere anlässlich des Festivals. Dank Jungspund ist die Stadt St.Gallen nicht nur Austragungsort für ein schweizweit beachtetes und einmaliges Festival geworden, sondern zugleich Teil der national und international tätigen Kinder- und Jugendtheaterszene. Jetzt kommt es darauf an, diese Vernetzung weiter zu stärken und die Stadt mit Jungspund als zentralen, national ausstrahlenden Ort für professionelle Theaterschaffende für ein junges Publikum zu etablieren.

IXYPSILONZETT Magazin für Kinder- und Jugendtheater (4/2018)