Himmel als See

by Kristin Schmidt

Marianne Rinderknecht ist zum drittenmal mit ihren Arbeiten in der Galerie Hafner präsent. Darunter ist diesmal ein grosses Wandgemälde, mit dem die St. Galler Künstlerin neue Wege beschreitet.

Blüten, Ranken, Sprosse, Blätter – mit diesem vegetabilen Vokabular und seinen formalen Abwandlungen hat Marianne Rinderknecht ein stattliches Œuvre entwickelt. Doch spätestens seit der rosafarbenen Kartonwand in Katharinen ist klar, dass die St. Galler Künstlerin gern die bekannten Wege verlässt, ausprobiert und zu spannenden Neuschöpfungen findet. Das zeigt sich jetzt wieder in der aktuellen Ausstellung bei Paul Hafner.

Bereits für ihre erste Ausstellung in dieser Galerie hatte Rinderknecht eigens ein riesiges Wandgemälde geschaffen. Nun ist neben Tafelbildern wieder ein Wandbild zu sehen, und doch ist alles anders.

Eine riesige hellblaue Fläche erstreckt sich über zwei Galeriewände – ganz ohne Pflanzenmotive, dafür mit gesprayten weissen Farbkreisen an einer Stelle. Es herrscht der völlige Verzicht auf Gegenständliches, und doch wird Vertrautes evoziert; so beginnen mit der Betrachtung unwillkürlich die Deutungsversuche: Ein See? Ein Stück Himmel? Doch wäre ein See gemeint, wären die wie Kondensstreifen wirkenden Kreise fehl am Platz, wäre Himmel gemeint, wäre die Kontur der Fläche rätselhaft.

Marianne Rinderknecht unterwandert alle Wahrnehmungsmuster. Zugleich spielt sie mit den Grenzen zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Während die blaue Fläche zwar abstrakt ist und doch etwas Gegenständliches darzustellen scheint, ist es bei dem daneben ausgestellten Gemälde genau umgekehrt. Es entführt den Betrachter in die von Rinderknechts Arbeiten vertraute Welt der Botanik. Blumen spriessen in grellleuchtenden Farben, dazwischen Blätter und Ranken.

Doch je länger man das Werk betrachtet, desto mehr Irritationen stellen sich ein. Zwischen einzelnen Bildelementen fehlen Verbindungsstücke. Andere wirken wie horizontal beschnitten. Im Kontrast zu diesen exakt konturierten Formen stehen wieder die gesprayten Schleifen und Schlaufen. Sie fügen sich zu Mustern, die in ihrer Form und Anordnung kaum noch Anleihen in der Natur nehmen. Überdies spielt die Künstlerin mit den Bildebenen – mal sind die Muster im Vordergrund, dann wieder werden sie von den Pflanzenelementen überschnitten. Rinderknecht widmet sich mit ihren aktuellen Werken einem neuen Thema: Während bislang das Sujet und das Spiel mit Wahrnehmungsmustern im Vordergrund stand, wird nun die Malerei, das Medium selbst, untersucht und kompositorisch ausgereizt.

Das gilt auch für das zweite grossformatige Tafelbild in der Ausstellung. Versatzstücke aus der Pflanzenwelt spielen nur eine untergeordnete Rolle. Wie barocke Ornamente begrenzten sie eine weisse und eine braune Fläche im Bild, doch zunächst fällt der Blick auf rote, gesprayte Dreiecke und zwei Zierformen in Pink und Violett. Auch hier drängen sich gegenständliche Bezüge auf, doch alles bleibt vage und wird von der tatsächlichen Form der gemalten Elemente überlagert. Viel länger als ihre früheren Gemälde fesseln die aktuellen Werke die Blicke, lenken sie und belohnen die Aufmerksamkeit mit gutgesetzten Details und überraschenden Motivkombinationen und entziehen sich doch jeder Deutung

Etwas näher am bereits Bekannten bleibt Marianne Rinderknecht mit einer Serie von sechs kleinerformatigen Bildern, die vor himmelblauem Hintergrund mit weiss gespraytem Lichtfleck weisse, halbtransparente Schleifenmuster zeigen, akzentuiert von roten Punkten. Spitzendeckchen, Blütenblätter, Blutstropfen, Perlenschnüre, Seifenblasen – der Assoziationen sind viele.

Es wird auch weiterhin spannend bleiben, Rinderknechts Werk zu verfolgen. Der neueingeschlagene Weg bietet sicherlich noch einige Möglichkeiten zur künstlerischen Auseinandersetzung – und vielleicht bleibt auch ihr Ausflug in den dreidimensionalen Raum nicht nur eine einzelne Episode in ihrem Werk.