Materialität im virtuellen Raum

by Kristin Schmidt

Auf fünffach verschiedene Weise hat David Claerbout im Kunsthaus Bregenz fünf grossformatige Projektionen installiert. Er feiert mit ihnen einerseits die Wandlungsfähigkeit und Eignung der Ausstellungsräume, andererseits sucht er nach einem neuen Verhältnis zum fotografischen und filmischen Bild.

David Claerbout (*1969 Kortrijk, Belgien) ist glücklich: «Die Ausstellungsräume von Peter Zumthor nerven nicht. Beton, Licht und die Stille hängen zusammen. Vor allem die Abwesenheit mechanischer Geräusche vergisst ein Mensch beim Gucken schnell.» Das Kunsthaus Bregenz ist für den Künstler die ideale Hülle für seine Werke, stehen doch auch in ihnen die Stillen im Vordergrund: Schatten, Pflanzen, Gebäude, Materialien. In einer stark digital geprägten Realität, die visuell und physisch immer schwieriger zu fassen ist, gibt er der Materialität der Dinge eine neue Präsenz, aber ebenfalls mit digitalen Mitteln. Er arbeitet mit Game Engines, Simulationen und Bodyscans. Das analog geprägte Hirn nimmt zunächst ein logisch erscheinendes Abbild einer vermeintlich realen Szenerie wahr. Erst mit der Zeit schleichen sich Irritationen ein. Bei «Travel» beispielsweise: Sonnenstrahlen brechen durch Baumwipfel, ein Wassertropfen perlt von einem Blatt, ein Bach rieselt über Kiesel – doch ausgerechnet die Entspannungsmusik durchbricht die Harmonie und beginnt die Künstlichkeit der Szenerie ins Bewusstsein zu hieven: Claerbout hat auf der Basis der Musik einen komplett synthetischen Film errechnen lassen.

Wahrnehmungsbrüche schleichen sich in allen seiner Werke allmählich ein und sind dann umso wirkungsvoller. Auch «The Quiet Shore» erweist sich als hochkomplex zusammengesetzter, virtueller Raum, obgleich die Schwarzweissbilder des französischen Küstenstädtchens Dinard zunächst echte Sommeratmosphäre in sich zu tragen scheinen. Aber das aufspritzende Wasser besitzt eine andere Qualität: Es ist eine erstarrte, gläserne Substanz, denn wo Rechen- und Speicherleistung entscheiden, verändern sich Stimmung und Dynamik des Lichtes.

«The Quiet Shore» ist auf einer raumhohen, schräg eingebauten Wand zu sehen, «Travel» in einem schwarzen Kubus. Auch mit seinen Präsentationsvarianten, die jede für sich präzise gesetzt sind, untersucht Claerbout die Anschlussfähigkeit der digitalen Bilder an einen realen Ort. Die grösste materielle Interaktion erreicht er, indem er die 1000jährige Echtzeitsimulation des Berliner Olympiastadions direkt auf die Betonwand im Ausstellungsraum projiziert. Die Transformation eines Disney-Klassikers auf der Aussenhaut des Gebäudes hingegen verbreitet grossen sinnlichen Reiz, denn auch digitale Bilder vermögen zu verführen, wenn sie nicht nur technisch perfekt, sondern auch konzeptuell durchdacht sind.