Der schöne Schein

by Kristin Schmidt

David Claerbout zeigt im Kunsthaus Bregenz grossformatige Projektionen. Die computeranimierten Reisen durch Natur und Zivilisation faszinieren und befremden zugleich.

Nichts ist mehr so, wie es war. Nichts ist mehr das, was es zu sein scheint. Dies gilt zumindest für die Welt der Fotografie und des Filmes. Die Digitalisierung hat nicht nur neue Speichermedien hervorgebracht. Sie hat sich auch auf die Entstehung der Bilder und auf deren Wahrnehmung ausgewirkt. Bildbearbeitungsprogramme sind allgegenwärtig, warum sollte noch jemand glauben, dass sie nicht benutzt werden?

Der veränderte Status der Fotografie interessiert David Claerbout. Der belgische Künstler ist überzeugt: «Die Zeit der Fotografie als glaubwürdiges Medium ist vorbei. Sie existiert zwar noch als Ritual, aber nicht mehr als Analogie und Beweismaterial.” In Claerbouts aktueller Ausstellung im Kunsthaus Bregenz lässt sich intensiv nacherleben, wie weit sich Sujet und Bild, Realität und Fotografie voneinander entfernt haben. Bereits die Arbeit im Erdgeschoss, projiziert auf eine raumhohe, schräg gestellte Wand, unterläuft die Vorstellungen davon, was ein Bild ist und wie es entsteht. Zunächst sieht alles ganz einfach und bekannt aus: Schwarzweissaufnahmen eines Strandes in Dinard in der Bretagne lassen Sommergefühle aufkommen. Menschen stehen im Sand und blicken in die Ferne. Häuser umrahmen die Bucht und werden vom stillen Wasser gespiegelt.

Jedes Bild bleibt für etwa zwanzig Sekunden stehen, dann folgt das nächste. Mehr und mehr fügen sie sich zu einem Gesamtbild der kleinen Stadt und der Menschen dort. Alles mutet an wie ein und dieselbe Aufnahme. So stehen die Menschen stets am selben Ort und in denselben Konstellationen und scheinen nur von unterschiedlichen Standpunkten aus aufgenommen worden zu sein. Aber der angenehme Eindruck eines unbeschwerten Sommertages weicht immer mehr einer rätselhaften frostigen Atmosphäre. Der Grund: Nichts an diesen Bildern ist echt im Sinne einer fotografischen Aufnahme. Claerbout hat die ganze Szenerie aus Studioaufnahmen und Personenscans zusammengesetzt und untersucht, wie sich Materialität auch im digitalen Medium konstruieren lässt. Das Ergebnis ist ästhetisch perfekt und doch befremdend, so wirken Wasserspritzer gläsern und eisig, statt perlend und vergänglich.

Auch in allen anderen Werken experimentiert der Künstler am Grenzbereich zwischen fotografischem Abbild und computergestützter Bilderzeugung. Die Arbeit «Travel» im ersten Stock des Kunsthauses übersetzt Entspannungsmusik in ein künstliches Waldstück. «Radio Piece (Hong Kong)» im zweiten Obergeschoss zoomt von einem Bild eines idyllischen asiatischen Gärtchens hinaus ins Zimmer, in dem das Bild hängt, bis vor eine Fassade des 1993 abgerissenen Slums von Kowloon in Hongkong. In der obersten Etage zeigt «Olympia» eine Kamerafahrt rings um das von den Nationalsozialisten errichtete Olympiastadion in Berlin.

Aber eine Filmkamera war hier wie auch in den anderen Arbeiten nicht im Spiel. Stattdessen wurde das Stadion im Computer nachgebaut und mit einer sogenannten Game Engine animiert. Nun altert das Stadion in Echtzeit – 1000 Jahre lang. Claerbout hat Wissenschaftler ausrechnen lassen, wie sich die Steine, die bauliche Struktur und vor allem die Botanik rund um das Gebäude verhalten werden. Das Computerprogramm wurde sogar mit dem echten Berliner Wetter gekoppelt, damit die digitale Wirklichkeit der Realität so nahe kommt wie möglich. Der Aufwand ist also enorm und das Befremden schleicht sich immer aufs Neue ein. Dennoch sind Claerbouts Werke faszinierend und einnehmend, das liegt nicht zuletzt an ihrer Stille und Langsamkeit: Sie verlangen Geduld und belohnen mit Einsichten.