Gezeichnete Vielfalt

by Kristin Schmidt

Die Ausstellung «8 × Zeichnung» zeigt eine konzentrierte Auswahl an aktuellen Arbeiten, die das Spektrum der zeichnerischen Ausdrucksmöglichkeiten verdeutlichen.

Es wird wieder gezeichnet, und das Gezeichnete wird wieder gezeigt. Einige Jahrzehnte lang war diese künstlerische Gattung beinahe zur Randerscheinung verkommen, Künstler zeichneten zwar noch, aber Video, Objekt und Malerei dominierten eindeutig das Gesamtbild. Die Zeichnung war als Skizze, als Gedankennotation nützlich, wurde aber selten als eigenständiges Medium eingesetzt.

Seit einigen Jahren nun ist die Zeichnung verstärkt präsent, sowohl in grossen Ausstellungen wie auf den internationalen Kunstmessen. Auch in St. Gallen gab es in der jüngeren Vergangenheit so einiges an guten Zeichnungen zu sehen, so sei beispielsweise erinnert an Bethan Huws Arbeiten auf Papier im Kunstmuseum St. Gallen oder an Wesley Willis und Ingo Giezendanner in der Kunsthalle, oder im Nachbarkanton an die Gruppenausstellung «Dessine-moi un mouton!» in der Kartause Ittingen. Und gerade erst zu Ende gegangen ist die «Die Welt im Hirn. Eine Expedition ins Universum der Notizen und Skizzen» in der Propstei St. Peterzell.

«8 × Zeichnung» ist in der Reihe Kultur im Bahnhof der Klubschule Migros St. Gallen zu sehen. Mit dabei sind die St. Galler Walter Angehrn, Elvira Disler, Lika Nüssli, Lucie Schenker und Michèle Thaler, der Zürcher Leo Brunschwiler, Katharina Henking aus Winterthur und Daniela Rütimann aus Luzern. Richard Butz hat diese Auswahl nach ganz persönlichen Kriterien getroffen und dabei gleichzeitig ein grosses Spektrum an zeichnerischen Ausdrucksmöglichkeiten ausgesucht. Den Einstieg liefern Daniela Rütimann und Lika Nüssli mit grossformatigen Blättern, auf denen es spriesst, wogt und menschelt: riesige Blumen, winzige Elfen, Wasserpflanzen mit Schuhblüten, übergrosse Echsen, dazwischen Paare, Einzelfiguren und Schrift. Wer genau hinsieht, entdeckt innerhalb der Darstellungen, dass sich hier offensichtlich zwei verschiedene Stile zueinanderfinden. Tatsächlich arbeiten Nüssli und Rütimann stets zusammen auf einem Blatt. Sie erzählen sich gegenseitig ihre Geschichte weiter, die wiederum für jeden Betrachter anders verläuft, je nachdem, von welchen Bilddetails er sich gefangen nehmen lässt. Im Vergleich zur Bildfülle bei Nüssli und Rütimann wirken Katharina Henkings Zeichnungen geradezu leer und still, und doch stecken auch sie voller Geschichten. Henking spielt mit Ornamenten, Dimensionen und Figuren, deutet an, lässt vieles vage. Auslassungen fordern den Betrachter unaufdringlich auf, selbst weiterzudenken.

Während diese drei Künstlerinnen narrativ arbeiten, verfolgen die Werke von Lucie Schenker, Leo Brunschwiler oder Walter Angehrn einen konzeptionellen Ansatz, der seriell untersucht wird. Gleichzeitig steht hier die Frage im Raum, was ist überhaupt Zeichnung und was wäre der Malerei zuzuordnen. Schenker beispielsweise zeichnet Variationen von gestrichelten Rastern mit Bleistift auf pastellfarben grundierte Leinwand – ein wirkungsvoller Kontrast zwischen mathematischer Präzision und von Hand gezogener Linie. Brunschwiler arbeitet sich mit Öl auf Transparentfolie an einem Baum ab und Angehrn setzt Fläche gegen Linie mit Bleistift, Pigment, Dispersion und Öl auf Papier. Die Grenzen zwischen den Gattungen sind bei allen dreien fliessend und werden von den Künstlern bewusst gesucht oder überschritten.

Michèle Thaler hingegen zeigt neben kleinen Tuscheformaten grossformatige Zeichnungen, die sogar den dreidimensionalen Raum besetzen. Indem sie die Leerstellen einer an Samenkapseln erinnernden Struktur ausschneidet, wirkt sie in den Raum vor und hinter dem Bild hinein.

Die klassisch anmutenden Kugelschreiberporträts und Stillleben von Elvira Disler runden die Vielfalt der Ausstellung ab.