Linien als Brücken

by Kristin Schmidt

Im Zeughaus Teufen ist die zehnte grosse Ausstellung zu sehen. „Walk the Line“ wagt einmal mehr ungewohnte Gegenüberstellungen in einer sorgfältigen Inszenierung.

Die Tragwerke von Hans Ulrich Grubenmann überspannen Flüsse, Tobel und weite Räume. Sie stützen sich nicht auf Modellberechnungen, sondern auf praktische Erfahrungen und kühne Überlegungen.

Ueli Vogt setzt die Arbeit des Baumeisters auf seine, ebenso konstruktive Weise fort. Der Kurator des Zeughaus Teufen schlägt den Bogen nicht zwischen Uferböschungen oder Kirchenwänden, sondern zwischen Zeiten, Gattungen und künstlerischen Positionen. „Walk the Line“ ist das aktuelle Beispiel dafür. Ausgangspunkt dieser Ausstellung ist ein Zeichnungskonvolut von Johann Ulrich Fitzi (1798–1855). Vor einiger Zeit konnte es durch den Kanton Appenzell Ausserrhoden erworben werden. Von den 300 Blättern ist nun ein Drittel im Zeughaus Teufen zu sehen: eine Augenweide!

Der Blick schweift über Tobel und Hügel, festgehalten mit zarten Bleistiftlinien; er entdeckt Bauten, die noch heute stehen und deren Farbigkeit kleinen Kürzeln notiert wurde; er verfolgt Pfade, die noch heute begangen werden können und die von linear angedeuteten Büschen oder Bäumen gesäumt sind.

Fitzi hat, was er sah, akribisch festgehalten. Der ausserrhodische Autodidakt leistete sich keine Freiheiten in der Darstellung, die Wirklichkeit war seine Motivation. Nur wenige Jahrzehnte später später übernahm die dokumentarische Fotografie dieses Feld. Ist Fitzis Werk nun also als ein künstlerisches oder ein dokumentarisches zu werten?

Die Kunst hat sich längst von solchen Grenzziehungen verabschiedet. Dokumentarische Arbeiten sind salon- oder vielmehr biennalefähig geworden. Entscheidend ist der Kontext. Den versteht Ueli Vogt zu setzen. Er baut Brücken von Fitzis Zeichnungen zum Film, zur Konzeptkunst, zur Abstraktion. Als unmittelbaren Gegenspieler Fitzis inszeniert er Klaus Lutz (1940–2009). Der gebürtige St.Galler ist unter anderem mit seiner zwölf Meter langen Zeichnung „Pas de deux“ präsent.

Während bei Fitzi die Leichtigkeit ganz in der Hand und damit der Linie steckt, setzt sie sich bei Lutz im Motiv fort. Er versucht nicht, die Welt möglichst genau wiederzugeben, sondern einen Zustand, eine Stimmung zu erfassen und sie in Schwüngen und Schleifen auf dem Papier zum Leben zu erwecken. Lutz kann aber auch anders, etwa wenn er sich Robert Walser widmet und in strenger Zentralperspektive ein „Zimmerstück“ durchexerziert.

Viele der von Fitzi gezeichneten Ortsbilder haben sich verändert, manches ist verbaut, anderes ist abgerissen. Nur den Zeichnungen bleibt es erhalten. Vielleicht wird es der Passerelle des Bündner Kunstmuseums ähnlich ergehen. Entworfen von von Zumthor, Conzett und Partnern verband sie 25 Jahre lang die Villa Planta und den Erweiterungsbau von 1989. Dann musste sie dem Neubau weichen und steht nun am Stadtrand von Chur. Christian Ratti bewahrt sie mit seiner Installation „Paserella“ vor dem Vergessenwerden, und die jetzt proklamierte Nähe zum Brückenbauer Grubenmann hilft vielleicht, das Architekturstück zu retten.

Ratti ist einer jener Künstler, die bereits bei der Eröffnungsausstellung des Zeughaus Teufen dabei waren und dem Haus seither verbunden sind. Auch Karin Karinna Bühler, Sandra Kühne und Christian Kathriner gehören dazu. Letzterer hat das Trajektorenfeld vor dem Zeughaus Teufen entworfen und zeigt nun – ebenfalls in der Horizontale – formal vielgestaltige Grafiken. Bühler platzierte anlässlich der Eröffnung 2012 einen Schriftzug des Zeughausarchitekten Felix Wilhelm Kubly an der Wand und führt ihre konzeptuellen Textarbeiten jetzt auf Alutafeln fort, verbunden mit einer Lecture Performance an der Finissage.

Sandra Kühnes ausgeschnittene Wegstücke nehmen den Kontakt zu Fitzi auf sehr direkte Weise auf und sind zugleich fest in ihrer eigenen langjährigen Arbeit verankert, bei der Eröffnung präsentierte sie die ausgeschnittenen Umrisse der Kubelbrücke. Zwei neue Namen sind auch dabei: Reto Müller giesst Basalt zu Platten – eine überraschende Entsprechung zu Fitzis geologischen Annäherungen – und Anna Beck-Wörner klebt eckige Lineaturen über Wand und Balken des Zeughauses. Statt bestehende Pfade zu porträtieren, legt sie neue Spuren aus.

Das Zeughaus Teufen ist mit dieser Ausstellung einmal mehr zum Ort fruchtbarer künstlerischer Dialoge geworden: Die Linie schreibt sich fort.