Warten und Fliegen

by Kristin Schmidt

Lichtensteig, SG: Als Bahnhöfe noch Bahnhöfe waren und nicht nur Haltepunkte, als Zugreisen noch denkwürdige oder gar glamouröse Ereignisse waren, waren auch Kleinstadtbahnhöfe besondere Orte. So wie in Lichtensteig. Der kleine Bahnhof war Teil der im sogenannten Heimatstil konzipierten, von 1910 bis 1912 errichteten Stationsgebäude an der damals neuen Linie der Bodensee-Toggenburgbahn. Heute hält die Südostbahn hier zwar noch, aber im getäferten Wartesaal wird nicht mehr gewartet, sondern Kultur gezeigt. Aktuell präsentiert die Kulturförderung des Kantons St.Gallen hier eine Ausstellung rund um Skispringlegende Walter Steiner. Ein Skiflieger im Wartesaal? Warum nicht, denn das Warten, das Innehalten gehört dazu: Wie fühlen sich die Sekunden an hoch oben auf der Skiflugschanze? Die Sekunden kurz vor dem Startsignal bevor es hinabgeht auf dem Anlaufturm, zum Schanzentisch, zum Absprung, zum Flug? Walter Steiner hat diese Momente immer wieder erlebt. Diese Spannung, aber auch diejenige zwischen Fliegen und Erdung, zwischen Heimat und internationaler Skiflugszene, zwischen Pioniergeist und Profizirkus sind ergiebige Themen über das Biografische hinaus. So ist es eine grosse Bereicherung, dass sich die Ausstellung nicht auf Dokumentarisches zu Walter Steiner beschränkt, sondern Künstlerinnen und Künstler ihre Sicht auf die Spannungsfelder präsentierten. Rolf Graf (*1968) beispielsweise lässt Wanderstockplaketten himmelwärts streben, während der altertümliche Stecken wie vergessen im Wartesaal lehnt. Yves Mettler (*1976) flicht einen poetischen Text zur Sicht auf die Landschaft in den Sicherheitszaun rund um den Schaltposten für den Fahrstrom. Elisabeth Nembrini (*1960) lässt auf der Glaswand der heutigen Wartezone einen Vogel starten und Birgit Widmer (*1964) bringt Wölkchen aus Holz zum Tanzen. Roman Signer (*1938) hat das Prinzip der Sprungschanze wörtlich genommen, von ihm ist «Piaggio auf Schanze», 2003 zu sehen: Das dreirädrige Fahrzeug wurde auf eine alte Schanze im polnischen Zakopane gezogen und los gelassen. Es flog fast zehn Meter weit, landete unbeschadet und ist noch heute dort unterwegs.

Die künstlerischen Arbeiten sind an verschiedenen Stellen in die kleine Ausstellung eingestreut, sie stehen den Fotosammlungen Steiners zur Seite, den Videosequenzen, Holzschnitzereien und Kinderzeichnungen und unternehmen von da aus eigene Gedankenflüge.