Simon Fujiwara – Facetten des Kommerzes

by Kristin Schmidt

Simon Fujiwara zeigt im Kunsthaus Bregenz sein «Hope House» – einen Nachbau des Bastelbogenmodells des Anne Frank Hauses, inklusive Steckverbindungen und Backsteinmuster. Über drei Stockwerke erstreckt sich der Nachbau in den Dimensionen des Amsterdamer Hauses, aber das Ergebnis ist nicht Architektur in der Architektur, sondern eine Installation mit skulpturalen Qualitäten. Sie funktioniert als Gehäuse für Fragen rund um Kommerz und Spektakel.

Die Hilfsorganisation Oxfam hat sich weltweit dem Auftrag verschrieben, Menschen in armen Ländern eine sichere Existenzgrundlage zu ermöglichen, angefangen von der Bildung und bis hin zur Geschlechtergerechtigkeit. Das Geld dafür sammelt sie beispielsweise in Buchläden nach dem Brockenhausprinzip: Gelesene Bücher können abgegeben werden und werden wieder verkauft. Vor wenigen Jahren wurde eines der karitativen Antiquariate mit ausgemusterten Exemplaren des Erotikromans «Fifty Shades of Grey» dermassen überschwemmt, dass die Mitarbeitenden aus den Büchern Wände bauen konnten, gleich einer kleinen Festung.

Eine Bücherwand gab es auch im Haus an der Prinsengracht 263–267 in Amsterdam, jenem Haus, in dem sich die Familie Frank zwei Jahre lang versteckte. Das Gestell war beweglich und verbarg den Zugang vom Vorder- zum Hinterhaus. Erhalten geblieben ist es nicht, aber das Anne Frank-Museum zeigt eine Rekonstruktion.

Rekonstruktion der Rekonstruktion

Für sein «Hope House» hat Simon Fujiwara das rekonstruierte Bücherregal erneut nachgebaut und mit gebrauchten «Fifty Shades of Grey»-Exemplaren bestückt. Die Festungsmauer aus Büchern ist damit an die richtige Stelle gerückt, dorthin, wo sie einst das Hinterhaus schützen sollte. Aber «Fifty Shades of Grey»? Es handelt sich um ein kommerziell ausgesprochen erfolgreiches Buch. Das Anne Frank Haus wiederum ist zwar ein Museum, aber eines, in dem die Originalausstattung aus den 1940er Jahren nicht erhalten ist und das mit Repliken erfolgreich zur Touristenattraktion wurde. Eintrittskarten sollten wegen des Andrangs im voraus gekauft werden und auch der Shop ist gut besucht. Er verkauft ein Anne Frank-Tagebuch zum Hineinschreiben, Anne Frank-Briefmarken, -Bücher, -Comics und ein Modell des Hauses als Bastelbogen. Kommerz im Dienste der Erinnerung? Unterhaltung im Sinne des Infotainment? Gänsehaut inklusive?

Ein Modell als Rahmen

Simon Fujiwara konstruiert ein offenes System, in dem Fragen ebenso Platz haben wie individuelle Erfahrungen oder Verweise auf die Geschichte. Er fällt keine Urteile, auch nicht über die Kommerzialisierung des Anne Frank Hauses: «Ich versuche nicht zu kontrollieren oder Hierarchien zu konstruieren. Ebensowenig will ich eine Botschaft präsentieren. Ich schaffe eine Umgebung, in der alle Fragen gültig sind.» Ein schlüssiges Bild für diese Umgebung ist im Erdgeschoss des Kunsthauses zu sehen. Hier wird der Bastelbogen in originaler Grösse präsentiert. Zerlegt in seine Einzelteile ist es das Skelett eines Hauses. Sogar der leere Papprahmen fehlt nicht, der zuvor alles zusammenhielt. Er bildet die Klammer, gleichsam den Raum, in dem die Verehrung, die Trauer, das Interesse, die Projektionen, die Selbstbetrachtung des Publikums Platz haben. Auch mit der drei Stockwerke umfassenden grossen Version des Bastelbogens gelingt es Fujiwara einen Rahmen zu schaffen. Er liess von Vorarlberger Handwerkerteams nicht einfach das Haus in der Prinsengracht oder das Anne Frank-Museum nachbauen, sondern eben jenes Pappmodell.

Das Modell trägt weniger die Aura der Geschichte in sich als die kommerziellen Aspekte und damit verbundenen Fragen: Kann das Anne Frank Haus als lukrativer Anziehungspunkt mit einer Million Besuchen pro Jahr seine Aufklärungsfunktion noch erfüllen? Geht mit der geschichtstouristischen Vermarktung ein Ausverkauf der Geschichtsvermittlung einher? Legitimiert die Chance, das Wissen um die Geschichte weiterzugeben, die Vermarktung? Simon Fujiwara stellt diese Fragen in den Mittelpunkt seiner Arbeit, ohne die Antworten vorwegzunehmen: «Wir stehen jeden Tag vor einer neuen Welt, und mit der Geschwindigkeit des Kapitalismus werden neue Dinge von uns verlangt, auf die wir reagieren müssen. Ich habe Verständnis für die Anne Frank Stiftung und das Haus, denn es ist eine grosse und unbequeme Aufgabe, den Ruf und die Botschaft von Anne Frank in einer Welt, in der alles vermarktet und kapitalisiert wird, weiterzuführen.»

Vereinnahmungen und Verführungen

Die emotional aufgeladene Welt rund um Anne Franks Schicksal ist dabei nur ein mögliches Beispiel: «Aber es geht wirklich um jeden Einzelnen von uns als Individuum, denn in kleinerer Weise stellen wir uns jeden Tag die gleichen Fragen: Wie kann ich an dieser Welt teilnehmen, nicht ausverkaufen, sondern überleben, mich authentisch fühlen, meine Würde bewahren, ein Individuum sein und anderen helfen, aber trotzdem Geld verdienen und nicht konsumiert werden?»

Einen Teil des breiten und unübersichtlichen Spektrums der kommerziellen Vereinnahmungen und Verführungen hat Fujiwara ins «Hope House» integriert: eine Schokoladenmaske des französischen Chocolatiers Pierre Hermé, die von einer indigenen ghanesischen Maske inspiriert und aus Kakaobohnen von der Elfenbeinküste hergestellt wurde, Fasnachtskostüme für Kinder, mit denen sie sich als «Tempelritter» oder «World War II Evacuee» verkleiden können, Kunststoffbesteck aus einem öffentlich zugänglichen Gefängnisrestaurant, Spielzeugpanzer zum Selbstanmalen, ein Exemplar des Hosenanzuges, den Sängerin Beyoncé trug, als sie ihren Besuch im Anne Frank Haus auf Instagram dokumentierte und der danach innerhalb einer Stunde international ausverkauft war, oder «Happy D.», ein Baddesign von Phillipe Starck, das sich laut Hersteller Duravit mit den «feinen Radien der abgerundeten Ecken» «ganz von einer femininen Seite» zeigt. Neben diesen Ready mades zeigt Fujiwara frühere eigene Werke, etwa «Masks (Merkel)», 2015, Gemäldesegmente eines Porträts der deutschen Kanzlerin gefertigt aus dem Makeup-Material, wie es die Visagistin für Angela Merkel verwendet, oder das Video «Joanne», 2016, seiner ehemaligen Kunstlehrerin gewidmet und mit den Mitteln der Marketingindustrie umgesetzt.

Die Auswahl der Objekte im «Hope House» folgt einem roten Faden, ist aber durchaus nicht festgeschrieben, so Simon Fujiwara: «Es gibt eine Million Optionen, Versionen, Wahl- und Entwicklungsmöglichkeiten des ‹Hope House›, und ich hoffe, dass es in verschiedene Kontexte reisen und in verschiedenen Zeiten gezeigt wird. Es kann sich anpassen und das präsentieren, was in diesem Moment entscheidend ist.»

Spektakel als Prinzip

Eine Version des «Hope House» war im vergangenen Jahr in der Dvir Gallery in Tel Aviv zu sehen. Spielte Israels Geschichte für das «Hope House» und seine Rezeption eine andere Rolle als die österreichische Geschichte für die Ausstellung Bregenz? Simon Fujiwara verneint, viel stärker wurde der architektonische Moment wahrgenommen, der eigentlich keiner ist: «Die Ausstellung wurde mit Spannung und Neugierde aufgenommen, denn sie arbeitet in Erzählungen, die Israelis kennen, und solchen, die sie nicht kennen. In einer Modellversion des Anne Frank Hauses zu sein, zum Beispiel, war für viele eine ‹exotische› Erfahrung: eine Erfahrung, in einem ‹kleinen europäischen Haus› zu sein, das wenig mit dem täglichen Leben in Israel zu tun hat. Mit einer ikonischen Erzählung wie derjenigen von Anne Frank stellt das ‹Hope House› die Frage, ob es in gewisser Weise exotisch für alle ist, aber zugleich auch persönlich für alle.»

Mag im Falle Anne Franks die aussergewöhnliche, detailliert aufgearbeitete Geschichte Neugierde oder Gänsehaut auslösen, so faszinieren im Falle Beyoncés der Ruhm und die zur Schau gestellte Empathie, im Falle des Gefängnisrestaurants und des erotischen Beststellers dominiert die Lust am Fremden, am gesellschaftlich nicht Etablierten. Immer wieder kreist die von Guy Debord proklamierte Gesellschaft des Spektakels um sich selber und das «Hope House» zeigt deren Facetten in einem Bezugssystem, das ebenso dicht wie offen ist und dadurch sogar nach der Ausstellungseröffnung noch weiterwächst: So geriet Oxfam, eben noch der «Fifty Shades of Grey»-Exemplare überdrüssig, im Februar in die Schlagzeilen, weil Journalisten von Partys in den Republiken Haiti und Tschad berichteten, für die Oxfam-Angestellte Prostituierte engagierten.