Vom Klang der Dichtung

by Kristin Schmidt

Thomas Suter zeigt in der Galerie vor der Klostermauer eine Auswahl aktueller Werke. Sie widmen sich unter dem Titel «Wortspuren» der zeitgenössischen Poesie und Prosa.

Worte hinterlassen Spuren – ganz gleich, ob es sich um gesprochene Rede oder um Geschriebenes handelt. Gedichte gehören dabei nicht unbedingt zu jenen Texten, die von der grossen Menge wahrgenommen werden, aber dafür sind die Spuren, die sie beim einzelnen hinterlassen können, besonders tief. Oft ist es die Sprache der Dichter und Dichterinnen, die lange und intensiv nachwirkt, und die etwas zum Klingen bringt, was sich sonst so nicht ausdrücken lässt.

Diesem Unfassbaren der Worte, ihrem besonderen Klang, spürt Thomas Suter in seinen Werken nach. Gedichte von Ingeborg Bachmann, Rose Ausländer oder Selma Meerbaum-Eisinger, aber auch Prosa, etwa von Gerhard Meier oder Klaus Merz, sind die Quellen seiner künstlerischen Werke. Suter, 1938 in Münchenbuchsee bei Bern geboren und seit 1962 im Appenzellerland wohnhaft, zeigt in der Galerie vor der Klostermauer mit «Wortspuren» eine Auswahl aktueller Papierarbeiten. Dieses Trägermaterial ist ihm ausgesprochen wichtig, ist es doch ein weiteres Bindeglied zwischen seinen Schöpfungen und jenen der Literaten.

Papier ist neutral, es ist offen für vielerlei Gestaltungen – ob es sich dabei um sorgfältig gesetzte Worte oder um Linien und Flächen handelt. Letztere werden bei Suter mit Gouache, Öl- oder Acrylfarbe angelegt. Nahezu vollständig werden die Blätter bemalt, meist mit Schwarz oder mit Grau. Über diesen Grundton, der von Schattierungen und Farbabstufungen lebt, trägt Suter weisse Spuren von Ölkreide auf. Er zeichnet, schreibt, verwischt, überschreibt erneut, rahmt ein, tupft, deutet an. Mitunter ist kaum mehr als eine feine Linie zu erkennen oder vage als Buchstaben identifizierbare Zeichen, dann wieder lässt sich eine Zeile entziffern, wie etwa jene vom «Wolkenpelztier mit den alten Sternenaugen» aus Ingeborg Bachmanns «Anrufung des grossen Bären». Klangvolle Worte, die ausdrucksstarke Bilder in sich tragen.

Doch letztlich kommt es gar nicht darauf an, ob Suter tatsächlich aus ausgewählten Gedichten zitiert, es bei Farbfeldern belässt oder minimale, geometrische Linien zieht. Immer vermitteln seine Bilder eine besondere Atmosphäre. In ihnen steckt der Ernst der Poesie ebenso wie ihre Leichtigkeit, das Gedankenschwere ebenso wie das Analytische. Selbst auf die Serie zu Christine Lavants «So eine wildfremde Sonne» trifft dies zu, die – anders als alle anderen ausgestellten Blätter – in Pink daherkommt. Wolkige Formen verdichten sich in den kleinen Formaten. Immer wieder scheint das Papier durch, sorgt für Transparenz, für Licht, das aus den Farbschichten strahlt.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass einige der Kompositionen an Landschaften erinnern, ist doch die Landschaft im weitesten Sinne auch eine der wichtigsten Anregungen für die Dichter. Nicht von ungefähr sind Begriffe wie innere Landschaft oder Seelenlandschaft geläufig. Nicht zuletzt diese Blicke nach innen, das Hinterfragen des eigenen Daseins und in der Folge das Ringen um das richtige Wort dafür faszinieren Suter. Respektvoll nähern sich seine Werke den Dichtungen an, ohne sie zu interpretieren oder ihre Geheimnisse vorschnell zu lüften.