Der optimierte Wald

by Kristin Schmidt

Stefan Baumann brachte das Sportzentrum zum Klingen und liess es schmelzen. Sein lebendiger, geräuschvoller Wald wurde zum Auftakt für Reflexionen zur allgegenwärtigen Optimierung.

Schmale Holzstreifen pendelten sachte hin und her. Sie säuselten, zwitscherten, wisperten, brausten, summten und brummten. Jeder der Streifen trug einen Lautsprecher. Jeder Lautsprecher war verkabelt und in einen Klangbaum verwandelt. Einen Wald aus Holz und Tönen hatte Stefan Baumann für die Kulturlandsgemeinde im Sportzentrum Herisau installiert. Einen Wald, dicht gewachsen, mit einem geschwungenen Weg, nicht zu eng, aber auch kein Trassee. Für die eiligen Sportlerinnen und Sportler mit ihren grossen Taschen war extra ein Seitenweg freigehalten. Wer den Bogen nicht hatte gehen wollen, konnte an der Seite entlang oder gerade durch das Dickicht gehen. Zwei Tage vor der Kulturlandsgemeinde kam dann alles anders. Der Wald wurde zum Risikofaktor – feuerpolizeilich eingestuft. Eine Schneise musste geschlagen, eine Sichtlinie vom Eingang des Sportzentrums bis zur Treppe ermöglicht werden. Damit es schnell gehe im Fall der Fälle, für die optimale Sicherheit. Zuvor war der Wald ein Wald, den Familien zum Picknicken nutzten und der Sportlerinnen und Sportler zu eleganten Schwüngen verführte vorbei an den schwingenden Steifen. Die Achtsamkeit stellte sich von selber ein, die Installation hatte etwas Grundlegendes in den Menschen angesprochen. Und nach dem Eingriff? Die künstlerische Arbeit wirkte nicht mehr ganz so unmittelbar auf die Gäste des Sportzentrums und der Kulturlandsgemeinde, aber sie wirkte immer noch. Stefan Baumann gelang es, seinen Wald den Regeln anzupassen. Licht und Töne lockten ins Innere des durchgangsoptimierten Waldes. Das rauschende Bächlein konnte gesucht und dem Vogelpfeifen nachgegangen werden. Ein Wind liess sich hören, prasselndes Feuer ebenso und rein digital. Denn was zunächst natürlich tönte, offenbarte sich bei genauem Hinhören als künstlicher Geräuschwald: Der Komponist, Musiker und Instrumentenbauer Baumann belebte mit einem digitalen Programm das Dickicht der schmalen Holzstreifen, visuelle und akustische Eindrücke vereinten sich. Zudem waren die unbehandelten Holzstreifen das Bindeglied zwischen Kultur und Sport: Sperrholz bildet einen Resonanzkörper und wird im Instrumentenbau wie in der Raumakustik verwendet. Es wird im Schiffbau eingesetzt, dient als stabiler, federnder Kern in Ski, Skate- und Snowboards und wird zu Turngeräten verbaut. Sperrholz ist ein vielseitiger Werkstoff mit archaischen Wurzeln, klimaneutral, nachwachsend, hochspezialisiert und hochtechnologisch genutzt.

Auch die fünf Klangkugeln in der Turnhalle bestanden aus Sperrholzstreifen. Sie erinnerten in Zahl und Form an die fünf olympischen Ringe und riefen die Teilnehmenden und Gäste der Kulturlandsgemeinde herbei. Sportgeräusche ertönten aus den jeweils acht Lautsprechern. Tischtennisbälle klackerten, Skateboards bretterten, Ski schnarrten durch den Schnee, Velos sirrten vorbei. Die Klänge steigerten sich in einem Crescendo zu einem Schnaufen. Dann kehrte Stille ein und das Getöse wich der konzentrierten Ruhe. Das Sportzentrum wandelte sich wieder in einen Ort des Reflektierens und Disputierens, des Nach- und Weiterdenkens zu Optimierungsprozessen und deren Folgen. Auch die Ökologie kam dabei zur Sprache. Stefan Baumann brachte sich mit seiner Arbeit «Tropfendes Eisfeld“ in diesen Diskurs ein. Er versetzte die grosse Fensterscheibe zwischen Cafeteria und Eissporthalle mit speziellen Lautsprechern in Schwingung. Die Scheibe begann akustisch zu tropfen, zu schmelzen. Dieses Schmelzen setzte sich bis in die Eishalle fort. Hier, wo noch im Mai Eishockeyspielerinnen und Eiskunstläufer trainieren, zog Tauwetter ein. Immer in den Trainingspausen rann akustisch das Wasser. Die Irritation setzte sich mit der Performance in der Mitte des Eisfeldes fort. Dort spielte Baumann Stücke zum Thema Gletscherschmelze, Optimierung, Archaik, Vergänglichkeit und Zeit. So verband er den klimaneutralen, sicherheitsoptimierten Klangwald mit dem künstlichen Eisfeld, die künstlichen Waldgeräusche mit den Aufnahmen des echten Tropfens.

Obacht Kultur, Sonderausgabe Kulturlandsgemeinde 2017