Der Betrachter als Wanderer

by Kristin Schmidt

Paul Hafner zeigt in seiner Galerie Alpstein-Gemälde von Rik Beemsterboer. Die Ausstellung bildet den Auftakt zur neuen Reihe «Short Cuts», deren Präsentationen jeweils nur einen Monat dauern.

Wolkentürme oder lichtes Blau, Gewitterstimmung oder weisse Wölkchen: Der Himmel ist vielseitig in der holländischen Landschaftsmalerei – und er hat Platz. Weit spannt er sich über die Szenerie und die niedrige Horizontlinie. Dazu stehen die Gebirgssujets der südlicher arbeitenden Malerkollegen meist in deutlichstem Kontrast. Der Himmel ist hier an den oberen Bildrand gedrängt. Der eigentliche Akteur ist das mächtige Steinmassiv.

Doch was passiert, wenn ein Holländer die Berge malt? Dies lässt sich in der Ausstellung in der Galerie Paul Hafner aufs beste beobachten. Sie zeigt Alpstein-Gemälde von Rik Beemsterboer. Vor knapp zehn Jahren kam der Holländer nach St. Gallen und hat die hiesige Landschaft für sich entdeckt. Bereits vor wenigen Jahren waren zwei Thurgauer Landschaftsbilder in einer Gruppenausstellung in der Galerie zu sehen; im vergangenen Jahr hat sich der Künstler nun in die Höhe des Alpsteins begeben. Jedoch nicht mit Staffelei und Farbe, sondern mit der Kamera: Beemsterboer fotografiert und setzt die Fotografien in Malerei um. Dabei versucht er jedoch nicht, die Spuren der Fotografie zu tilgen, sondern setzt sich vielmehr bewusst mit der möglichen Verbindung der zwei Medien auseinander.

Am augenfälligsten wird dies in der horizontalen Verwischung der Pinselspuren, die eine Unschärfe ins Bild bringen, als habe die Kamera falsch fokussiert. Dies führt dazu, dass sich das gesamte Sujet je besser wahrnehmen lässt, desto weiter entfernt der Betrachter steht, ähnlich der Fernsicht in den Bergen. Kommt er jedoch näher, ist es wieder die Malerei, die die Oberhand gewinnt, denn erst hier zeigt sich der Duktus, die lebhaft gesetzten Details wie Gräser oder Steinchen. In diesem Kontrast von Nähe und Ferne, von malerischen Details und fotografischer Anmutung, verbirgt sich die grundsätzliche Frage, welchen Stellenwert Landschaftsmalerei heutzutage einnimmt, welche Berechtigung sie in einer Zeit hat, in der jedes Motiv für jedermann per Fotoapparat verfügbar ist.

Eine eindeutige Antwort gibt Beemsterboer nicht, doch er stellt sich bewusst in eine lange kunsthistorische Tradition. Dies zeigt sich nicht zuletzt in seiner sorgfältigen Behandlung des Himmels. Von Caspar David Friedrichs Frau Christiane Caroline ist der Ausspruch überliefert: «Den Tag, wo er Luft malt, da darf man nicht mit ihm reden.» Und vielleicht ist dies bei Beemsterboer ähnlich. Das Ergebnis jedenfalls überzeugt, ganz gleich ob dichte Nebelschwaden das Rheintal bedecken oder über Stauberen sich zarte Kondensstreifen durchs Himmelblau ziehen. Ein andermal sind die Wolken überall und der Betrachter, der sich sofort wie ein Wanderer fühlt, mittendrin.

Caspar David Friedrich versetzte den Betrachter mit Hilfe einer zentral gesetzten Rückenfigur hinein ins Bild. Beemsterboer wählt Perspektive und Standpunkt so, dass ein ähnlicher Effekt eintritt. Der Mensch selber taucht nicht auf in den Bildern, grosse Stille liegt über der Szenerie. Nur dort, wo die Meglisalp sichtbar wird und am Rande eine Viehbarriere, zeigt sich, dass der Alpstein längst erschlossen und erobert ist. Und allzu lange wird es hoffentlich nicht mehr dauern, bis man selbst sich wieder auf den Weg machen kann, zu den Alpen und Hütten, Wegen und Steigen. Beemsterboers Gemälde wecken jedenfalls die Lust darauf.