Odyssee im Stadtraum

by Kristin Schmidt

Welchen Platz hat und braucht Kunst im öffentlichen Raum?

Endlose Weite. Spärliche Vegetation, Felsen, Sand. Eine Affenhorde frisst, schläft, streitet. In dieser Einöde steht eines Morgens ein schwarzer Monolith. Er bildet den größtvorstellbaren formalen Kontrast zu allem, was ihn umgibt. Hier die schwarze, makellose Fläche, dort Staub und Steine. Hier die klare Gestalt des Quaders, dort die von Wind und Wasser erodierten Formen. Inszenierung kontra Landschaft. Eine Offenbarung im urzeitliehen Weltgeschehen, ein Kontrast, der Aufsehen erregt, in diesem Falle bei den Affen. Was folgt, ist Filmgeschichte: Vom Monolith in Stanley Kubricks «2001: A Space Odyssey» geht eine Kraft aus, die sich auf die Primaten überträgt und sie befähigt, sich eines Werkzeuges zu bedienen.

Einen spektakulären filmischen Zeitsprung von vier Millionen Jahren später erscheint der schwarze Monolith auf dem Mond, ein drittes Mal schließlich auf dem Jupiter. Überall fällt er auf und löst Einschneidendes aus: den erstmaligen Griff nach einem Werkzeug, vier Millionen Jahre später eine neue Suche nach Erkenntnis, gekrönt von einer Wiedergeburt. Was hat das mit Kunst im öffentlichen Raum zu tun?

Der schwarze Monolith ist ein Fremdkörper, er provoziert und fordert auf, die bisherigen Denk- oder sogar Handlungsmuster zu hinterfragen. All das kann und soll Kunst im öffentlichen Raum auch. Sie soll den Raum in verschiedener Hinsicht auf-, be- oder umwerten. Von ihr wird eine soziale Wirkung verlangt. Sie kann funktional ausgelegt sein und Räumen eine neue Richtung geben. Sie kann die Benutzer des Raumes leiten, neue Raumperspektiven und Sichtachsen öffnen, zu Bewegung oder zu Ruhe führen. Sie kann das alles mit einem thematischen Bezug zum Ort verbinden oder repräsentativen Charakter haben. Sie kann als zusätzliche Qualität auch dekorativ sein.

Kunst im öffentlichen Raum also als das ästhetische Heilmittel für die verbaute Stadt mit Imageschaden und sozialen Problemzonen? Und was überhaupt ist öffentlicher Raum? Ist es der Außenraum? Ist es der für jeden zugängliche Raum? Der Raum, der alle angeht und somit ein gemeinsames Gut ist? Oder ist es der Raum in staatlicher Hand? Es wäre einfach, davon auszugehen, öffentlicher Raum sei der nicht-private Raum. Doch beispielsweise auf die in letzter Zeit mehr und mehr Bedeutung erlangenden «Gated Communities», umzäunte, videoüberwachte und gesicherte Wohnanlagen, trifft diese Definition nicht mehr zu. Über Jahrhunderte hinweg waren Straßen und Plätze öffentliche Räume mit sozialer, politischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Hier fand die Kommunikation der Gemeinschaft statt. Mittlerweile sind die Massenmedien der Platz der öffentlichen Kommunikation, und der öffentliche, für jeden zugängliche Raum dient der privaten Unterhaltung und wird zunehmend privatisiert. Das beginnt bei den Bahnhöfen und führt bis hin zu von Sicherheitsunternehmen kontrollierten Einkaufszonen oder der Überwachung von Straßen und Plätzen durch Videokameras privater Firmen. Der Staat wiederum definiert bestimmte stark frequentierte öffentliche Orte als «gefährlich» und behält sich vor, Platzverweise auszusprechen. Private Unternehmer möblieren den öffentlichen Raum – freilich im Rahmen der gesetzlichen Regelungen, aber immer im Sinne des eigenen Interesses. Überhaupt ist der öffentliche Raum von sogenannter Sekundärarchitektur geprägt. Dies beginnt bei Wartehäuschen, Sitzbänken und Signalanlagen und endet bei Abfallbehältern und Beleuchtung. Unter der Annahme, dass die Gestalt des öffentlichen Raumes Symbol ist für gesellschaftliche Normen und Werte, für eine gemeinsame Identität, geben Innenstädte ein recht zweifelhaftes Bild ab. Kunst muss also funktionalen wie gesellschaftlichen Ansprüchen genügen, und sich obendrein in einem heterogenen Miteinander von kommerzieller, sicherheitstechnischer, sozialer und zweckbestimmter Gestaltung behaupten, oder sie bleibt nicht mehr als dekoratives Accessoire, das binnen kurzer Zeit nicht mehr wahrgenommen wird. Die Beispiele dafür sind zahllos: Skulpturen, die niemandem wehtun, und kaum anders wirken als ein Pflanzkübel im Passantengetümmel oder der unvermeidliche Kugelbrunnen in der Fußgängerzone.

Diese Objekte beziehen ihr Identifikationspotenzial daraus, gefällig zu wirken, so lange bis man sich an sie gewöhnt hat, und dann geraten sie in Vergessenheit. Die Alternative sind Kunstwerke, die sich konsequent in den Weg stellen, die sich nicht übersehen lassen. Werke, die sowohl inhaltlich wie ästhetisch in einem Höchstmaß durchgearbeitet sind, die eigens für den Platz konzipiert wurden, an dem sie sich befinden. Werke, deren Qualität sich nicht im Formalen erschöpft, sondern die darüber hinaus das Denken fördern. Dass derart starke Werke von den Benutzern des öffentlichen Raumes eine gewisse Kraft verlangen, liegt auf der Hand. Zu oft reicht diese aber nicht aus. Besonders prominent zeigte sich dies anhand Richard Serras «Tilted Arc», 1981. Der Künstler platzierte eine durch leichten Schwung freistehende, übermannshohe Stahlplatte auf dem Federal Plaza in New York: eine monumentale Arbeit inmitten von Bürohochhäusern, die sich in den Weg stellte, dem Platz eine neue Richtung gab, ihn dominierte und gleichzeitig Teil von ihm wurde. Die Stahlplatte behauptete sich sowohl durch ihre ästhetische Qualität wie durch ihren Anspruch, den Raum neu zu ordnen. Sie nötigte die Anlieger, sie jeden Tag aufs Neue wahrzunehmen und städtische Strukturen, Stadtplanung und Zeitgenossenschaft zu reflektieren. Dieses Störungspotenzial überforderte die New Yorker Behörden. Zwar sprach sich bei der öffentlichen Anhörung 1985 die Mehrheit der Anwesenden für den Verbleib des Werkes aus, aber die General Services Administration erwog einen Standortwechsel, den Serra nicht akzeptieren konnte. Sein Werk war für diesen Platz konzipiert, Integration und Widerspruch funktionierten nur standortbezogen. 1989 wurde das Auftragswerk vom Auftraggeber selbst, von der Stadt New York verschrottet.

Wie gut, dass Hans Schabus‘ Bauzaun in Salzburg von vornherein nur temporär angelegt war. Im Rahmen des Festivals Kontra.com, das im bewussten Kontrast zu den Mozartfestspielen 2006 in Salzburg stattfand, verbarrikadierte der Künstler den Blick auf den Mirabellgarten mit einer Holzwand. Die einzelnen, sechs Meter hohen Bretter entsprachen in Höhe und Breite den Notierungen von Johann Strauss‘ «Demolirer Polka». Die Sichtachse war durchbrochen, die Skulpturen des Gartens blickten gegen eine Wand, Salzburger und Touristen waren aufgefordert neue Blicke zu suchen. Dass sich Widerspruch regte, verwundert nicht. Hier war Provokation leicht zu erreichen, und die Reaktion musste nur temporär ausgehalten werden. Nachhaltiger wirkte da Christophs Büchels Festivalbeitrag «Aktion Reales Salzburg (ARS)» unter dem Motto «Salzburg bleibt frei». An einem eigens eingerichteten Stand ließ der Künstler Unterschriften sammeln. Auf einem Formular konnten Forderungen unterschrieben werden wie: «Der Gemeinderat der Stadt Salzburg soll beschließen, dass die Salzburger Altstadt – für die Dauer eines fünfjährigen Moratoriums – frei von Gegenwartskunst im öffentlichen Raum bleibt. […] Besinnen wir uns im Mozartjahr 2006 wieder auf die Qualität und Werte der Kunst- und Kulturstadt Salzburg! […] Schluss mit der Verschandelung unseres Weltkulturerbes!»

Die nötigen 2000 Unterschriften kamen zusammen, die Stadt Salzburg musste ein Bürgerbegehren zur gegenwartskunstfreien Innenstadt durchführen. Christoph Büchel setzte eine Diskussion in Gang, die so manchen ins Schlingern gebracht hat. Unterschreiben oder nicht unterschreiben, war hier die Frage. Mit der Unterschrift nähmen die konservativen Gegner zeitgenössischer Kunst einerseits an derselben teil, andererseits ließe sich gerade diese Gegnerschaft endlich einmal wirkungsvoll zum Ausdruck bringen. Außerdem bezichtigten sie die ARS, den Begriff Kunst im ausgeschriebenen Text für zeitgenössische Werke zu unrecht zu verwenden, obwohl die Gegenwartskunst im Sinne der Intention vorausschauend als «sogenannte» Kunst, Nicht-Kunst oder Kunst in Anführungszeichen bezeichnet wurde. Dem Künstler wurde Ironie vorgeworfen und Verschwendung öffentlicher Gelder, obgleich es den Gegnern genüge hätte tun müssen, wenn das projektbezogene Geld für etwas ausgegeben wird, was sich eben gerade nicht im öffentlichen Raum materialisiert.

Christoph Büchel hat die Rezipienten ins Dilemma gestürzt, und das obwohl ihnen weder die Sicht noch der Weg verstellt wurde. Kunst im öffentlichen Raum ohne Kunst im öffentlichen Raum, mit einem sicheren Blick für das Konfliktpotenzial zwischen Öffentlichkeit und Kunst.

Als die Kunst im öffentlichen Raum noch Kunst am Bau hieß, war sie bereits als Aufforderung an die Künstler gedacht, sich aus dem Kunstbetrieb herauszubewegen und die Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit zu suchen, da sich erst dann ihre Relevanz zeige. Relevanz wurde allerdings mit Akzeptanz verwechselt, wurden doch Werke erwartet, mit denen sich die Öffentlichkeit identifizieren konnte, die positiv ausstrahlten. Dass Kunst am Bau so nicht funktioniert, weil Künstler so nicht funktionieren, zeigte sich bald. Gesellschaftlich relevante Kunst sucht keinen Stellplatz, sondern ein gesellschaftliches Forum. Mit dem Verzicht auf Architekturbezogenheit und die Öffnung in den städtischen Raum wurde dem vor über 30 Jahren Rechnung getragen.

Doch die Öffentlichkeit hat sich in diesen wenigen Jahrzehnten gewandelt, die Kunst notwendigerweise auch, und sie fordert nach wie vor Einsatz. Es war das einfachste für die Stadt Venedig, Gregor Schneiders Biennalebeitrag 2005, einen schwarzen Kubus in den Maßen und der Gestalt der Kaaba in Mekka, nicht zu realisieren mit dem Argument, dass es ästhetische wie sicherheitstechnische Bedenken gäbe. Nicht einmal die ausführliche Dokumentation des Schriftverkehrs zu dem Werk durfte im Katalog zur Ausstellung publiziert werden. Berlin war als alternativer Ort für den «Cube Venice» vorgesehen, hier sagte man jedoch ebenfalls ab: aus politischen Bedenken und weil der schwarze Kubus ursprünglich für Venedig konzipiert war. Der Künstler selbst hätte nun diese Sache auf sich beruhen lassen können, denn bereits die Diskussion um das Werk ist als Hinweis auf den gescheiterten Dialog der Religionen und die gegenwärtige lslamophobie aussagekräftig genug. Doch Schneider bevorzugte eine inhaltliche Umdeutung und ließ den Kubus im Zusammenhang mit der Ausstellung «Das schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch» als «Cube Hamburg» vor der Hamburger Kunsthalle realisieren. Primär wurde er nun als Referenz an das Werk des grossen Suprematisten interpretiert und büßte damit einiges von seiner ursprünglichen Brisanz ein – Kunstgeschichte als Sedativum. Da der Kubus trotz des neuen, unverfänglichen Werkkontextes noch immer als Verweis auf die religiöse Pilgerstätte gelesen werden kann, wurden die muslimischen Gemeinden Hamburgs vorab zum Gespräch eingeladen. «Cube Hamburg» wurde in der Folge als «Mahnmal der Toleranz» gefeiert. Venedig und Berlin haben gezeigt, dass Kunst nicht nur das Engagement der Künstler und Kuratoren braucht, sondern auch das der Öffentlichkeit und ihrer Vertreter.

Kunst im öffentlichen Raum will den Dialog. Nicht wie Stanley Kubricks schwarzer Monolith auf dem Mond: Er schaltete die sich nahenden Astronauten durch ein akustisches Signal aus. Die Künstler dagegen bieten uns die Chance das eigene Lebensumfeld wieder bewusst wahrzunehmen, die Chance zur Reflexion und Auseinandersetzung.

Publiziert in: Erlangen – Kunst im Stadtbild, hrsg. Bernd Nürmberger, Nürnberg 2008, S. 14-16