«‹Sorget Euch nicht!›, pfeift die Ente»

by Kristin Schmidt

Der Kulturraum am Klosterplatz, jahrelang spannender Ausstellungsort des Kantons, ist in anderer Form zurück: Im Kloster Magdenau zeigen drei Künstlerinnen und drei Künstler ihre Arbeiten – für etwas mehr «Glanz und Glut» in der Welt.

Im Mai 2016 schloss der Kulturraum am Klosterplatz seine grossen schweren Türen für die zeitgenössische Kunst. Auf den Tag genau ein Jahr später ist er zurück, allerdings nicht mehr im Klosterbezirk angesiedelt, sondern nomadisierend im Kanton St.Gallen unterwegs: Als «Kulturraum S4» bewegt er sich künftig entlang der gleichnamigen S-Bahn-Linie rund um den Säntis, nicht sklavisch den Schienen folgend, sondern offen für Seitenwege und besondere Orte.

Das Kloster Magdenau ist so einer. Mitten im Grün, an kaum befahrenen Landstrassen zwischen Degersheim, Flawil und Uzwil liegen der idyllische Weiler und seine Zisterzienserinnenabtei – und das seit 770 Jahren. Kann es der zeitgenössischen Kunst gelingen, sich diesem grossen kulturellen Erbe unbefangen anzunähern, ihm auf Augenhöhe zu begegnen? Kann mit solch einer Begegnung nicht nur der Gegenwartskunst, sondern auch dem historischen Ort neue Bedeutung und Aufmerksamkeit widerfahren?

Es liegt wohl an beidem, am Gespür der Kuratorin und der Kunstschaffenden wie an der Aufgeschlossenheit und dem Pragmatismus der Nonnen, dass die Kunst und das Gebäude so gut aufeinander treffen – eine «abenteuerliche Spannung zwischen altem Bau und neuen Gedanken», wie Sr. Maria Veronika bei der Begrüssung sagte.

Glanz und Glut auf beiden Seiten

«Des Einen Glanz, des Anderen Glut»: Entlehnt hat Kuratorin Ursula Badrutt, Leiterin der Kulturförderung des kantonalen Amts für Kultur, diesen Ausstellungstitel einem der Embleme im Vestibül im zweiten Obergeschoss des klösterlichen Gästetraktes. Anschaulich bebildern sie religiöse Lehrsätze und moralische Verhaltensregeln zum Zwecke der täglichen Besinnung. Der Magdenauer Zyklus ist einer der frühesten und eigenwilligsten dieser Art in der Schweiz. Schon er lohnte die kleine Reise, aber nun ist er obendrein mit der zeitgenössischen Kunst verzahnt.

Der entlehnte Titel bezeichnet das Bild eines barocken Spiegels in einer brennenden Landschaft. Es steht für die Eitelkeit einerseits und für Selbsterkenntnis andererseits und tritt in einen sinnfälligen Dialog mit Manons Spiegel, der sich um sich selber dreht und der Nonne mit Apfel.

Von der Meisterin der Selbstinszenierung sind ausserdem Fotoarbeiten aus der Serie Hotel Dolores zu sehen. Als Auftakt im Eingangsportal konfrontieren sie die Vergänglichkeit mit Jugend, Lust und Schönheit. Von hier aus windet sich eine enge Wendeltreppe nach oben zum Vortragssaal St. Benedikt und dem Video Ab ins Zwischenwesen von Sarah Elena Müller und Birgit Kempker. Die beiden Künstlerinnen  begeben sich in Kloster und Umgebung auf die Suche nach dem Zauber des Lebens. Sie erwecken eine ausgestopfte Ente zum Leben, beseelen und erfinden Dinge und streuen denkwürdige Lebensweisheiten ein: «Sorget Euch nicht», mahnt die Ente – und, so liesse sich ergänzen, bleibet offen, das Unwahrscheinliche zu schauen.

Kunst im Kornspeicher

Requisiten aus dem Video sind im ganzen Gästetrakt zu entdecken, auch Gegenstände, die ganz selbstverständlich dazugehören hätten können, wie der Schlitten im Dachgeschoss. Immer wieder schaffen es die Kunstwerke, den Blick zu öffnen für architektonische Details und die Schönheit des Alltäglichen im Kloster. Alfred Sturzeneggers sorgfältig platzierte Werke im Dachstock etwa: Gefundene und gelegte Spuren in den Arbeiten auf Papier nehmen das Gespräch auf mit den Spuren im alten, vielfach geflickten Dielenboden. Das dunkle Grün auf zwei kleinen Formaten öffnet den Blick für das Grün des grossen Lastentors im Kornspeicher. Auf einem weiteren Blatt geben Klammern den Raum frei, sie öffnen das Feld ins Unendliche und damit auch für alles, was hier vor Ort eine Geschichte erzählen kann.

In Vorbereitung der Ausstellung haben die Nonnen den Dachspeicher geräumt, aber noch immer herrscht eine besondere Stimmung, die es auch Peter Dew angetan hat. Der St.Galler Künstler spielt mit dem, was ist und was sein könnte. Bereits im Vestibül hat er ein unscheinbares, auf dem Kopf stehendes Fragezeichen platziert. Im Dachstock sind es verborgene Farbkreuze im Fachwerk und Schrifttafeln, mit denen Dew Blick, Schritte und Gedanken lenkt. Blachen und Kübel, die an einigen Stellen zu finden sind, haben hingegen keine künstlerische, sondern praktische Funktion: Das Dach ist stellenweise undicht und müsste repariert werden, Infos hier.

Einzig Jonathan Meese geht offensiv zu Werke. Der deutsche Künstler hat sich das Zimmer des Prälaten auserkoren und hier seine Keine-Angst-Familie einquartiert. In gewohnt leidenschaftlicher, überbordender Malerei besetzt sie Wände, Bett und Möbel und steht im Sinne der Ausstellung ein für eine angstfreie Welt – dank Kunst, Ente und Kloster.

http://www.saiten.ch/sorget-euch-nicht-mahnt-die-ente/