Eine Laterne für St. Otmar

by Kristin Schmidt

Katalin Deér gestaltet im Rahmen eines Kunst-am-Bau-Wettbewerbes den Eingangsbereich der Otmar-Kirche neu. Ab Ostern wird er sprichwörtlich neu erstrahlen.

Kirche und Gegenwartskunst – diese Verbindung erscheint kaum mehr selbstverständlich. Dabei war die Zusammenarbeit zwischen kirchlichen Herren und zeitgenössischen Künsten jahrhundertelang etabliert. Künstler wurden beim Bau und der Ausgestaltung der Kirchengebäude ganz selbstverständlich hinzugezogen oder waren sogar in wesentlichen Teilen verantwortlich für beides.

In St. Gallen weiss man um diese Tradition und ihre fruchtbaren Ergebnisse. So lag es für die Katholische Kirchgemeinde St. Gallen nahe, im Rahmen der derzeit erfolgenden Renovation von St. Otmar nahe der Kreuzbleiche einen Wettbewerb für die Neugestaltung des Portals auszuschreiben. Die Fassade, das Dach, der Turm und das unmittelbar die Kirche umgebende Gelände werden seit 2007 einer umfassenden Sanierung unterzogen.

Mitte des vergangenen Jahres entschied man sich dann, auch dem dreiseitigen westlichen Eingangsraum ein neues Gesicht zu geben. Fünf Künstlerinnen wurden zum Wettbewerb eingeladen. Den überzeugendsten Entwurf lieferte die 1965 in den Vereinigten Staaten geborene St. Galler Künstlerin Katalin Deér. Längst ist sie auch hierzulande keine Unbekannte mehr. Sie arbeitete als erste Künstlerin längere Zeit im Gastatelier der Kunstgiesserei, stellte in Katharinen und im exex aus und fotografierte für die vielbeachtete Monographie über Hans Josephson.

Katalin Deérs künstlerisches Interesse gilt sowohl in ihren Fotografien als auch in ihren raumbezogenen Arbeiten den vorhandenen Strukturen in der dreidimensionalen Wirklichkeit. Sie zeigt ein besonderes Gespür für die Gestaltung des öffentlichen Raumes, für Architektur und dafür, wie sich Zeit und Nutzung ins Aussehen von Gebäuden einschreiben. Dies lässt sich sehr gut an Katalin Deérs Entwurf für die im vergangenen Jahr 100jährige Kirche St. Otmar ablesen. Ursprünglich wünschte man sich seitens des Auftraggebers, dass die bestehende Verglasung beseitigt und etwas Neues geschaffen würde. Diese Verglasung aus den 1960er-Jahren gehört für die Künstlerin jedoch zur Geschichte der Kirche und besitzt, wie sich nun zeigt, durchaus eine Qualität, die zu bewahren lohnt: Deér lässt die ehemaligen Querstreben der Aluminiumrahmen entfernen, so dass statt der früheren Gitterstruktur die Vertikalität dominiert und eine gelungene Verbindung zur schlanken, aufstrebenden Silhouette der Kirche entsteht. Daneben darf sich die Künstlerin mit dem Erhalt der alten Verglasung sogar Nachhaltigkeit in ökologischem Sinne anrechnen lassen, ist doch die Herstellung von Aluminium ein äusserst energieaufwendiger Prozess.

Nur die früheren Alu-Türgriffe werden ersetzt durch solche aus Glas. Doch auch hier wird Bestehendes bewahrt: Die Künstlerin entdeckte bei ihrem Besuch in einer Glaserei alte Gussglasstücke. In zwölf aufeinander abgestimmten Farben zieren sie die drei Doppeltüren innen und aussen und sorgen bei geeignetem Lichteinfall für bunte Reflexionen im Inneren des Vorraums. Dieser Innenraum wird ebenfalls ein neues Gesicht erhalten, denn Deér lässt zum einen die Schmutzteppiche im wörtlichen Sinne wegweisend verlegen und zum anderen eine grosse weisse Lichtkugel erstrahlen. Synchron zur Strassenbeleuchtung wird sie in den Abendstunden eingeschaltet und die Nacht über den Wind- in einen Blickfang verwandeln. Kirchenbesucher und Quartierbewohner dürfen sich zukünftig also an einer grossen, sanft leuchtenden Laterne am Fusse des Kirchturmes erwärmen. Gemäss Katalin Deérs Credo «Kunst ist nicht der Gegenstand, sondern der Umgang mit den Dingen», hat sie auf subtile Weise einen neuen Identifikationsort geschaffen.