Tine Edel – «Inside the Grain»

by Kristin Schmidt

Tine Edel zeigt analog aufgenommene Schwarzweissfotografien auf Papier und auf Glas. Ihre Wege zum Bild sind nicht standardisiert, Experimente sind Teil der Arbeit.

Die Digitalfotografie ermöglicht technisch makellose Bilder. Bereits kleine Amateurkameras enthalten Programme um Verzerrungen, Rauschen oder Blitzlichteffekte zu eliminieren oder zu verringern. Was an Fehlern im Bild noch geblieben ist, kann mit dem Bildbearbeitungsprogramm am Rechner getilgt werden. Die makellose Fotografie ist jedoch eine Fotografie ohne Eigenschaften. So erklärt sich die Beliebtheit von Apps wie Instagram oder speziellen Filtern. Sie simulieren gealterte Bilder, analoge Bilder, unvollkommene Bilder, sie täuschen Belichtungs- und Entwicklungsfehler vor, die ein Kennzeichen optischer und chemischer Vorgänge der analogen Fotografie sind. Was aber passiert dort genau? Wie lassen sich die analogen Prozesse verändern? Wie gross ist der Spielraum zwischen gelungenem und gescheitertem Bild? Kann auch ein gescheitertes Bild ein gelungenes Bild sein?

Tine Edel experimentiert im weiten Feld analoger fotografischer Verfahren und Inszenierungen. Die Künstlerin negiert die festgeschriebenen Gesetze der tradierten Fotografie, sie arbeitet mit Mehrfachbelichtungen, lässt Fehler zu, mischt oder erhitzt Entwicklerflüssigkeit und Fixierer, gewährt Bleichmitteln eine Eigendynamik und bringt verschieden gross Abgelichtetes zusammen in ein Format: Die Wege zum Bild sind in Tine Edels Arbeit ebenso wichtig wie die Resultate. Jedes Bild der Künstlerin ist eine Reise vom Bekannten ins Unbekannte, von Alltagsdingen im Atelier hin zu mehrdeutigen Objekten im fotografischen Raum, von der Landschaftsaufnahme hin zum experimentell entstandenen Motiv. Ein Holzscheit, ein Tuch, ein Sellerie, eine Linse – alltägliche Dinge ohne inhaltliche Aufladung verwandeln sich in etwas Anderes, ohne eine bestimmte Interpretation zu behaupten. Viel wichtiger als die Deutung der Motive ist der aufmerksame Blick für Umrisse, Texturen, Kontraste, Helligkeit und Schatten: Wie ist der Bildraum gestaltet? Wodurch entsteht Tiefe? Wodurch unterscheiden sich die Grautöne voneinander? Wie verhalten sich die Objekte zum Hintergrund? Wie verhalten sie sich zueinander?

Das Nebeneinander zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommener Dinge und die daraus entstehende geheimnisvolle Ausstrahlung der Bilder erinnert nicht von ungefähr an die Geisterfotografien William H. Mumlers (1832-1884). Tine Edel hat sich mit den Bildstrategien des Bostoner Autodidakten auseinandergesetzt. Er bot in seinem Atelier eine sogenannte „spirit photography“ an und versprach in seinen fotografischen Porträts die gleichzeitige Darstellung des Geistes verstorbener Angehöriger. Die Doppelbildnisse entstanden durch die Doppelbelichtung der damals verwendeten Glasplatten. Vielleicht brachte ihn ein Fehler, eine schlecht gereinigte Platte auf die einträgliche Idee.

Licht zu Papier

Ein Fehler passierte auch Tine Edel: Versehentlich hatte die Künstlerin eine bereits belichtete Papierkassette ein zweites Mal belichtet und erinnerte sich so an die simple Art, zwei Bilder überlagern zu lassen. Die doppelte oder mehrfache Belichtung erfolgt entweder mit einer weiteren Kameraaufnahme oder durch Fotogramme, also Gegenstände, die sich direkt 1:1 auf dem Papier abzeichnen. Abgesehen von dieser originalgrossen, fotogrammatischen Reproduktion lassen sich weder der Aufnahmeprozess noch das Ergebnis vollständig steuern. Tine Edel präsentiert diese Papierabzüge mal gerahmt, mal einzig im Passepartout. Auch in ihrer Grösse unterscheiden sich die Abzüge. So ergibt sich statt einer musealen Inszenierung eine lebendige Abfolge von Bildern.

Inside the Grain/Aus dem Fotostudio

Eine andere Serie basiert auf bereits existierenden Landschaftsbildern aus dem persönlichen Archiv der Künstlerin. Das Ursprungsmaterial sind Kleinbild-und Mittelformatnegative. Sie werden auf ein anderes unbelichtetes Zwischennegativ übertragen, so dass dort ein Positiv entsteht. Die Bilder durchlaufen bis zu fünffach diesen lichtchemischen Prozess, werden immer wieder Belichtung und Chemikalien ausgesetzt. Dadurch verstärken sich Fehler bis sie Teil des Bildes und somit Teil der dargestellten Landschaft werden. Eine grobe Körnung erscheint als Sternenhimmel, die Bleiche lässt Wolken aufziehen. Auch die Aufnahmen auf Glasplatten werden so behandelt, die Künstlerin experimentiert mannigfach und am Ende steht ein gültiges Bildresultat. Diese letztgenannten Arbeiten werden auf Hellraumprojektor und Leuchttisch gezeigt, somit ist auch das Licht als wichtige Komponente der Fotografie ein Teil der Ausstellung.

Einführungstext, Städtische Ausstellung im Architektur Forum St.Gallen, 3. März bis 26. März 2017