Anita Zimmermann – «Der Bogen vom Schnörkel»

by Kristin Schmidt

Einführung

Zeichnungen am Laufmeter: lange Papierbahnen hängen an den Betonträgern im Raum des Architektur Forum Ostschweiz. Sie teilen den Raum in Segmente, sie werden selbst zum architektonischen Element. Sie gleichen Wänden und füllen die vorhandenen Wände von der Decke bis zum Boden. Sie erinnern an Tapisserien, an Tapeten und Wandmalereien.

Anita Zimmermann zeichnet mit der Airbrush-Pistole auf grosse Formate frei aus der Hand heraus. Seit einigen Jahren verwendet die Künstlerin Ausschusspapiere von Druckhintergründen der Textilfirma Jakob Schläpfer AG als Bildtäger. Schwach sind die Stoffmuster noch sichtbar: Mal sind es nur Streifen oder monochrome Farbtöne, mal ist eine Borte zu erkennen, dann wieder füllen verschwenderisch wirkende Blütenorgien das Papier. Muster und Farben sind Überbleibsel des Vorherigen und Basis für das Neue. Sie durchdringen das Bild und mischen sich dennoch nicht ein. Anita Zimmermanns Motive agieren eigenständig auf der Fläche. Affen, Füchse, Kinder, geometrische Körper und Hände begegnen einander und führen lebhafte Dialoge, ohne Sprache, sondern mit Gesten, Blicken und über raumliche Bezüge. Hände halten ein Seil, Füchslein balancieren, Robin Hood begegnet einem Irokesen, Affen spielen mit Smileys, zwei Herren mit Schnauz betrachten das muntere Treiben. Anita Zimmermann lässt den Bildern viel Raum auf dem Papier und knüpft zugleich ein dichtes Netzwerk aus dem heraus eine erzählerische Ebene entsteht.

Die Geschichten lassen sich immer wieder neu erfinden, sie sind offen für individuelle Additionen und für Fussnoten in hellblau, grau und bunt. So lassen sich die Objekte am Boden der Papierbahnen lesen: als Fussnoten zu den Bildern. Auf PET-Flaschen sind Köpfe montiert, Objekte exotischer Herkunft mischen sich mit Figuren aus dem Spielzeugland. Die heilige Mutter Gottes tritt in ein Zwiegespräch mit ihrem Sohn. Die meisten der Figuren und Objekte sind monochrom eingefärbt. Dadurch sind sie auf ihre Form, ihre Silhouette reduziert und sind gleichberechtigte Elemente der Zeichnungen. In ihrer Platzierung auf dem Boden sind die Schnittstellen Zeichnungen und Raum und stärken das Bewusstsein für das Körperhafte der Zeichnung.

Zeichnen ist für Anita Zimmermann Risiko und Bedürfnis, es ist Lust und Experiment. Mit der Sprühdose in der Hand muss das Oval gelingen, es gibt keine Vorzeichnung, keinen zweiten Versuch. Die Zeichnungen sind linear, die Linie ist immer am richtigen Platz, Schraffuren verleihen manchen Motiven räumliche Präsenz, doch auch die Schraffur bleibt linear. Gleichmässig ziehen sich die Linien übers Paper. Ausnahme sind die kleinen Kinder, ihr Körper wird plastisch durch die Binnengestaltung, sie halten die Fäden in der Hand, sie beobachten mit unergründlichem Blick. Erzählen sie die Geschichte weiter? Erfinden sie eine neue? Anita Zimmermann gibt weder Erzählstränge noch Deutungen vor. Der Künstlerin geht es um die Zeichnung: „Ich will einfach zeichnen – immer wieder bei Null anfangen.“ – auf einfachem Papier immer wieder von vorn, immer weiter. Zeichnungen am Laufmeter, unprätentiös, konzentriert aufs Wesentliche.

Städtische Ausstellung im Lagerhaus, Architektur Forum Ostschweiz, 18. November – 11. Dezember 2016