Alle einsteigen bitte!

by Kristin Schmidt

Rachel Lumdsden realisiert im Rahmen der Nextex Projektreihe «Pressure Points» die zweite Ausstellung unter dem Motto «Between Tracks». Zwischen den Gleisen treffen Manchester und St. Gallen aufeinander.

«Meine Damen und Herren, wir treffen in St. Gallen ein. Endstation.» Wer diese Ansage im ehemaligen Badhaus der Eisenbahner neben der Lokremise hört, wundert sich zunächst nicht, ist doch der Bahnhof in Hörnähe. Doch halt; wie sollte es die Ansage aus dem Zuginneren bis ins oberste Stockwerk des Badhauses geschafft haben?

Es ist Stefan Rohners Videoloop «Marble Train», in dem sie erklingt. Der St. Galler ist einer der 15 Künstler in «Between Tracks», des zweiten Teils der von Rachel Lumsden kuratierten Ausstellungsreihe «Pressure Points» in «The International 3» und «The Salford Restoration Office» in Manchester und im Badhaus in St. Gallen. Lumsden bringt Künstler und Künstlerinnen beider Städte zusammen. Doch warum ausgerechnet Manchester und St. Gallen?

Auf den ersten Blick haben die britische Industriestadt und die Ostschweizer Metropole nicht viel gemeinsam ausser ihrer Vergangenheit als Zentren der Textilindustrie. Auf den zweiten Blick ist da noch mehr und vor allem aktuell Verbindendes: Beide Städte sind geprägt von bedeutender kultureller Konkurrenz: Dort ist es London, hier ist es Zürich, das Künstler an- und Aufmerksamkeit abzieht und der Kunstszene eine Abseitsposition beschert. Dass jedoch gerade unter diesen Bedingungen Gutes entsteht, zeigt «Between Tracks» auf vielfache Weise. Überdies ergeben sich durch die Kombination der acht britischen und sechs schweizerischen Künstler spannende Seitenblicke.

Wenn etwa Tim Manchins «Cloud» aus transparentem Klebeband auf Vera Markes Ölbilder trifft, so kontrastieren nicht nur unkonventionelle und etablierte Technik miteinander, sondern es ergibt sich zwischen den fast auf gänzliche Farbigkeit verzichtenden Gemälden und der schwerelosen Wolke eine ästhetische Harmonie. Ebenso gut ergänzen sich Elisabeth Nembrinis Fensterbild und Sarah Sanders performative Zeichnung: Die unzählige Male aneinandergereihten Worte «Slow Fast» wirken wie ein Kommentar zum Abriss des Hauses Leonardstrasse 78. Letzteres ritzte Nembrini in eine mit Quark bestrichene Scheibe des Badhauses, so dass es das stattdessen errichtete Bürogebäude verdeckt.

Auch Harlies Schweizer hat eine Arbeit eigens für die Ausstellung realisiert: Über einem Wandgemälde mit dem Grundriss des Quartiers präsentiert sie kleine Gouachen mit Detailansichten der Umgebung. Die ungewöhnlichen Violett-, Orange- und Grüntöne sorgen für Verfremdungseffekte. So mag sich mancher fragen, ob es jene Strassenecke mit dem grossen Baum und der alten Laterne wirklich gibt, wird vielleicht angeregt, das Viertel wieder einmal abzuschreiten.

Immer wieder fällt auf, wie gut die Arbeiten auf die Ausstellungsräume selbst reagieren, so etwa Louise Adkins‘ «Windmills of your mind» – einem Striptease ins Nichts. Nicht erst, wenn die Tänzerin das letzte weisse Kleidungsstück ablegt und im Schwarz verschwindet, erinnert der ovale Wandspiegel als eines vieler Überbleibsel an die früheren Zeiten des Wohn- und Waschhauses für Eisenbahner. Auch Paul Needham zeigt besonderes Gespür für den Raum. Die Holzvertäfelung bildet den Sockel für seine aufwendige Wandarbeit «A Challenge». In roten Lettern appelliert sie an die Selbstverantwortung des Betrachters. Und wenn es heisst, «Wir müssen jetzt gehen, bevor uns das Gewicht unserer Dinge zermahlt», so lässt sich dies sogar als Ermunterung an jene lesen, die dem Verlust des Bahnhofsquartiers allzu sehr nachtrauern.

Die Ausstellung, in der ausserdem Werke von Andrew Bracey, Evi Grigoropoulou, Hayley Drayton, Herbert Weber, Stuart Edmundson und Mirjam Kradolfer zu sehen sind, wird von einem Kurzfilmprogramm begleitet.