Geliebt, gezähmt, gehuldigt

by Kristin Schmidt

Die Sammlung Würth bietet reichlich Material für eine Tierschau. Aber der «Menagerie» im Forum Fürth in Rorschach fehlt der Biss.

Die Schafe auf der Weide, der Hund im Bett, der Hase nachdenklich auf dem Computer – die Tiere sind domestiziert, geliebt und manchmal putzig. Sie helfen, sie erheitern oder sie stillen Sehnsüchte. Wild sind sie selten, nicht einmal dann, wenn sie zu den grössten Beutejägern der Erde gehören: Der Tiger bleibt brav. Gross prangt er auf den Plakaten zur aktuellen Ausstellung im Forum Würth Rorschach. Er blickt von jedem Faltblatt mit seinem wohlproportionierten Haupt und seiner markanten Fellzeichnung. Damit gibt er das Programm der Schau vor: Die Tiere sind schön. Sie sind fremd oder vertraut, aber kaum einmal bedrohlich. Schön sind Norbert Tadeusz´ drei Pferde auf Rosa, mit denen die Ausstellung noch im Foyer ihren Auftakt erhält. Schön sind die Käfer, die im Treppenhaus hinaufkrabbeln. Auf kleinformatigen Gemälden hat Sigrid Nienstedt sie festgehalten. Jedes der kleinen, gepanzerten Insekten ist schräg von oben zu sehen und wirft einen Schatten auf der monochrom bemalten Leinwand. Damit bleiben die Sechsbeiner lebendig, jeder für sich ein gepanzerter Eigenbrötler, aber unter steter Beobachtung des Menschen.

Schön ist auch der Hund im Zentrum der fotografischen Stillleben von Nadin Maria Rüfenacht. Majestätisch ruht er auf samtenem Tuch. Wenn sein Kopf auf der dritten Fotografie zu Boden gesunken ist, so mutet er eher schlafend an als tot und weit entfernt von der Dramatik barocker Jagdstillleben. Dennoch illustriert die dreiteilige Arbeit der Schweizerin das erste der in mehrere Kapitel gegliederten Ausstellung: „Jagd und Stillleben“. Viel ist allerdings in dieser Kategorie nicht zu sehen, ein Blick in den Katalog zeigt das Dilemma: Die Ausstellung, konzipiert für die Kunsthalle Würth vor vier Jahren, wurde für Rorschach deutlich abgespeckt. Weniger Platz heisst weniger Werke und weniger Inhalt. Nicht nur ganze Kapitel fehlen, sondern auch Werke die den zeitlichen und thematischen Horizont weiter aufspannen. So gehen der Ausstellung Zwischentöne verloren.

Die Unterteilung in Kapitel birgt zudem das Problem der versuchten Abgrenzung. So finden sich Chimären in der surrealistischen Abteilung ebenso wie im mythologischen Bereich. Max Ernst beispielsweise faszinierten Sphingen, aber er kreierte auch viele eigene Mischwesen. Damals freilich noch ohne das Wissen um die Möglichkeiten des Klonens, des Gen Editings und transgener Organismen. Solche Fragestellungen bleiben in der Ausstellung aussen vor und passten doch so gut ins Kapitel „Das entfremdete Tier“. Hier gibt es eine der wenigen Überraschungen in der Ausstellung. Von Fernando Botero sind zwei Aquarellzeichnungen von Tierschädeln zu sehen. Ausgerechnet der Meister des Üppigen näherte sich in den 1970ern dem geschlachteten Hammel und dem enthaupteten Schwein bis unter die abgezogene Haut. Hier ist für einmal alle Niedlichkeit dahin. Anklage, Qual und Resignation blickt aus den Augen dieser geschundenen, getöteten Kreaturen.

Doch nur eine Ecke weiter wird ein ganz anderes Kapitel aufgeschlagen. Hier schwimmt Dieter Roths Federvieh im Schokoladensee, umzingelt von Miniaturrittern. Hier mahnt Tatjana Doll, den zeichenhaften Schnauzer anzuleinen. Hier stromert Markus Redls „Sauhund“ durchs Gelände: mehr Fell als alles andere und unbeirrt auf seinem Weg. Kategorisierungen laufen spätestens hier völlig ins Leere. Diese ironischen, humorvollen Werke sprengen den Rahmen jeder Tierschau.

Spannender wäre es ohnehin, die Grenzen aufzuheben, so wie dies Mark Dion im Kunstmuseum St.Gallen tut, wenn er etwa Conrad Gessner wörtlich nimmt und Fabeltiere ganz selbstverständlich in die naturwissenschaftliche abgesicherten Klassifizierungssysteme mischt. Genau dieses Andere, das Unergründliche, das nicht Abgesicherte interessiert und beflügelt die Künstler und Künstlerinnen: Was ist das Andere im Tier? Wie lässt es sich fassen, wenn wir doch immer nur aus unserer Perspektive urteilen können? Wie spiegelt unsere Wahrnehmung der Tiere und unser Umgang mit ihnen unser eigenes Sein, unser Weltverständnis? Da sind Roths „Fernsehhammels“ mehr als eine Schafherde auf dem Bildschirm und Redls „Sauhund“ etwas anderes als ein Vierbeiner für die Wildschweinjagd. Eine auf das blose Abbild der Tiere reduzierte „Menagerie“ greift da zu kurz.