So ein Theater – Vier Ausserrhoder Theatermenschen

by Kristin Schmidt

Der Theaternomade: Michael Finger, 41 Jahre, Trogen

„Intellektuelles Textverhandeln hat mich nie berührt.“ – Michael Finger hat den klassischen Theaterweg beschritten, hatte nach der Schauspielausbildung bald die erste grosse Filmrolle, wurde ausgezeichnet, aber etwas fehlte. Im frankophonen Theaterraum, im Nouveau Cirque fand Finger, was er eigentlich suchte: das kompromisslose Miteinander von Musik und Tanz, Theater und Artistik. Finger hatte das Totale Theater entdeckt, die Kunst, Körper, Dynamik und Bewegung, den ganzen Bühnenraum in den Dienst der Geschichte und der Figuren zu stellen. Das Totale Theater ist verwandt mit dem Theater und mit dem Zirkus und ist doch mehr als die Summe von beiden. Es ist eine ganzheitliche Bühnenform, die hierzulande noch immer mit Vorurteilen zu kämpfen hat. Aus der zeitgenössischen Zirkusszene hört Fingers Kompanie Cirque de Loin, sie mache ja Theater, und die Theaterszene schubladisiert das Programm der Gruppe als Zirkus. Da hilft nur eines: weiterspielen mit Leib und Seele; solange bis jeder und jede merkt, es kommt nicht auf die Klassifizierungen an, sondern darauf, sich packen und mitreissen zu lassen, hinter der Bühne, vor der Bühne, auf der Bühne.

Die Puppenspielerin: Kathrin Bosshard, 44 Jahre, Herisau

Der Wolf, das Schaf, der Hase – Tiere handeln, Tiere wecken Mitgefühl, Tiere brauchen Verständnis und geniessen Narrenfreiheit. Zumindest auf der Bühne. Kathrin Bosshard schätzt das grosse Potential der Tiere. Die Puppenspielerin arbeitet seit ihrem Stück „Ein Schaf fürs Leben“ immer wieder mit Tierfiguren, denn sie bieten dem Publikum grosse Identifikationsräume und sorgen oft für die richtige Portion Humor. Sie verwandeln Realität in Fiktion und lindern das Drama. Die Hasen in Peter Liechtis Film „Vaters Garten“ sind ein herausragendes Beispiel dafür. Kathrin Bosshard hat nicht nur eine davon gespielt, sondern Liechti geraten, die Figuren aus allen Perspektiven, von nah und fern zu filmen, sie also wie echte Schauspieler zu behandeln.

Der Puppenbau ist für die Künstlerin ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit: „Es ist die Fleischwerdung, die Materialisierung.“ Die Wesen erhalten Augen und werden durchs Spiel lebendig: „Es kommt uns selbstverständlich vor, aber es ist ein Wunder“ – eines, das Kathrin Bosshard immer wieder aufs Neue erlebt und das sie schon von ihrer Mutter, ebenfalls Puppenspielerin, erfahren hat. Puppenspiel stellt die ganz grossen Fragen: Was ist Geist? Was ist Materie? Und so ist die Frage nach der richtigen Berufsbezeichnung für Kathrin Bosshard keine Frage, denn „Puppenspielerin zu sein, ist doch wunderbar.“

Der Gestandene: Walter Graf, Alter 74, Heiden

Grossvater gesucht! Es war Not am Mann, am ergrauten, am gestandenen Mann. Walter Graf stellte sich als Idealbesetzung heraus. Der seit gut 10 Jahren pensionierte Lehrer wurde von Theaterpädagogin Kristin Ludin angesprochen, ob er in einer Produktion für Sinnflut Rorschach den Part des Grossvaters übernehmen könnte. Schon vorher hatte er im Team von Theaterfrau Christa Furrer in mehreren Stücken mitgespielt. So kam der Häädler fest im Theaterfach an. Sind die Erfahrungen aus dem Lehrberuf dabei nützlich? Vor Leuten zu stehen, bereitet Walter Graf kaum Mühe. Und das Auswendiglernen? Die Technik hat sich verändert: „Früher prägte ich mir Satz für Satz ein. Jetzt lerne ich ganzheitlich, indem ich den Text immer wieder lese.“ Viel Arbeit ist das trotzdem, denn „in meinem Alter lernt man nicht mehr so einfach.“

Graf schätzt seine Rolle: „Aus dem behäbigen Alten lässt sich schauspielerisch viel herausholen.“ Nur der ausgediente Oberst war eine grössere Herausforderung. Aber auch diese meisterte Walter Graf. Wen der Theatervirus einmal gepackt hat…

Die Unabhängige: Jeanne Devos, 32 Jahre, Zürich

Die Freiheit erlaubt Vielfalt. Jeanne Devos spielt derzeit am Theater St.Gallen den Hamlet, hat kürzlich für den SRF an einem Hörspiel mitgearbeitet, und in Brüssel verschiedene Tanzworkshops besucht. Seit drei Jahren ist die Schauspielerin ausserhalb fester Ensembles unterwegs und geniesst es: „Ich kann über Rollen und Projekte frei entscheiden. Ich muss niemanden um Urlaub bitten und bin geografisch ungebunden.“ Auch die Ensemblearbeit hat ihre Stärken, etwa dem Publikum näher zu sein und in einem stabilen Team füreinander einzustehen, doch für feste Engagements ist später immer noch Zeit.

Ein grosser Schritt raus aus Strukturen und hinein in die Freiheit war für Jeanne Devos das Ausserrhodische Artist in Residence Stipendium. Dank diesem konnte sie in Brüssel ins belgische Theater eintauchen:„Es ist offener und spartenübergreifender. Jeder macht alles auf der Bühne, und gemeinsam werden berührende Geschichten erzählt.“ Aber auch im deutschsprachigen Raum gibt es reizvolle Aufgaben. So würde Jeanne Devos gerne einmal in einem Horvath-Stück spielen – gut möglich, dass ihr eigener Weg dorthin kürzer ist als der in einem festen Ensemble.

Obacht Kultur, No. 26 | 2016/3