Von der Linie zum Salat

by Kristin Schmidt

Der Kunstraum Kreuzlingen zeigt in einer Doppelausstellung Julia Bodamer und Aurelio Kopainig. Der in Berlin lebende Künstler bewegt sich souverän im Feld zwischen Wissenschaft und Kunst, Recherche und Zeichnung.

Alles im grünen Bereich? Grün ist Bio? Biologisch, biotechnisch, biotechnologisch? Alles ist möglich, die Wüste grünt und Bio ist nicht immer Bio. Der Wind unterscheidet nicht zwischen Biobauernhof und ertragsoptimierter Landwirtschaft. Er trägt die Pestizide weiter. Die Übergänge sind fliessend sowohl auf Feld und Plantage als auch auf dem Papier.

Aurelio Kopainig bewegt sich zeichnend im dicht geknüpften Netz zwischen Landwirtschaft, Gentechnik und Biotechnologie. Der gebürtige Ostschweizer recherchiert dort weiter, wo es selbst interessierten Konsumentinnen und Konsumenten zu kompliziert wird. Er deckt Zusammenhänge auf im dichten Gefüge aus veröffentlichten Studien, aus Meinungen, Fachwissen und Argumenten. Er jongliert mit Begriffen und Informationen, fügt Bilder, Signets und Textstellen zu schlüssigen Strukturen zusammen. Seine Zeichnungen kommen nie didaktisch, sondern immer mit leichtem Strich und einer guten Prise Witz daher. In seiner aktuellen Ausstellung im Kunstraum Kreuzlingen zeigt der Künstler grossformatige Zeichnungen, die sich vor allem mit dem kontrovers diskutierten Einsatz von Glyphosat beschäftigen. Kopainig arbeitet mit der Bildsprache und Anordnung wissenschaftlicher Präsentationen, schreibt und zeichnet jedoch mit Stift und sparsamen farbigen Akzenten aufs Papier. Formale Neuschöpfungen, ungewöhnliche Wortreihen und Zusammenstellungen durchbrechen die Erwartung an die Wissenschaftssprache. So entfalten die Darstellungen einen grossen Sog. Innerhalb der visualisierten Ordnung legt Kopainig Wege an, fängt den Blick mit Pfeilen auf, leitet ihn um und weiter. Die Denkprozesse folgen den Bildprozessen.

Die Kraft der Linie zeigt sich auch in den kleinformatigen Zeichnungen. Der Künstler hat sie zu aussagekräftigen Reihen verbunden und formuliert auch darin sein Selbstverständnis: biotechnologische und künstlerische Themen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Ein Strich verändert sich. Linien steigen, fallen auseinander und fügen sich zu einem Salatblatt. Die Linie ist geduldig, Pflanzen sind es ebenso, doch wohin führen die biotechnologischen Umbrüche? Kopainig wertet nicht, sondern holt Verdrängtes ins Licht. Er entschlüsselt von der Agroindustrie sorgsam gehütete Verflechtungen und lässt offen, wie damit umzugehen sei.

Im Untergeschoss des Kunstraumes zeigt Julia Bodamer eine passgenaue Videoinstallation. Die 1988 in Zürich geborene Künstlerin inszeniert einen Raum im Raum, einen dynamischen Raum im statischen. Weisse Wände scheinen auf, bewegen sich durchs Blickfeld, verschwinden wieder. Licht und Schatten sind im ständigen Wechselspiel. Es gibt keinen Halt, nur endlose Rotation. Immer wieder dreht sich die Wand vorbei an der Kamera. Oder ist es die Kamera, die kreist? Immer um dieselbe Wand oder sehen alle Wände gleich aus? Sind es überhaupt Wände oder nur weisse Flächen? Die Künstlerin definiert weder Ort noch Funktion, weder Dimension noch Dauer. Sie baut Kulissen für ein Stück ohne Schauspiel und verführt gerade damit zum Schauen.