Einkehr und Einblick

by Kristin Schmidt

Neue Arbeiten von 30 Kunstschaffenden in 26 Gasthäusern – verteilt übers ganze Appenzellerland: ein Ausstellungsprojekt der Kulturstiftung Appenzell Ausserrhoden und der Appenzell Innerrhoder Kunststiftung.

Acht Routen stehen zur Auswahl, zu Fuss, leicht oder anspruchsvoll, mit dem Velo oder mit dem Bähnli: à discrétion führt quer durchs Appenzellerland und bis hinauf in den Alpstein. Eine jede bietet Kunst und Kulinarik, denn das Ausstellungsprojekt der Ausserrhodischen Kulturstiftung und der Innerrhoder Kunststiftung findet in Gasthäusern statt. Ein Faltblatt verzeichnet sie alle mit Telefonnummer, letztere sollte man nutzen. So legt das Restaurant Harmonie „Christenpass“ beispielsweise zusätzliche Ruhetage ein. Der Besuch bleibt also mitunter ohne Einkehr, aber nicht ohne Einblick. Durch die rückwärtigen Fenster ist die Arbeit Annina Frehners zu sehen. Die Künstlerin hat ihr Buch Index N° 1 räumlich installiert. Die enzyklopädische Fülle ist perfekt in die hölzernen Täferkassetten des Saales eingepasst und erinnert in Radikalität und Ästhetik an die Reihungen der grossen Konzeptkünstlerin Hanne Darboven. Da es ein Augenschein aus der Ferne bleiben muss und noch Zeit ist, führt ein Abstecher weg von à discrétion hin zu einem Kunst am Bau-Projekt. Seit kurzem prangt mitten auf dem sanierten Bahnhof Walzenhausen ein rotes M über einem weissen W. Die Arbeit Rolf Grafs weckt Assoziationen an eine U-Bahn und erinnert an das metropolitane Flair des Ortes zur Blütezeit des Kurtourismus.

Also auf zum nächsten Kurort. In Heiden sind zwei à discrétion-Installationen zu sehen. Sollten zu sehen sein. David Berwegers kleiner weisser Gipsberg neben dem Kursaal Heiden ist weg. Selbst zwei Runden um das Haus bringen ihn nicht zum Vorschein. Schade. Zwei Tage später stellt sich heraus, dass Gärtner die Arbeit vorübergehend entfernt haben, um den Rasen mähen zu können.

Ein paar Dutzend Schritte weiter ist das Restaurant Krone, postmodern verspiegelt und verglast. Mit einem Gipsstalakmiten unterläuft Christian Hörler die kalte Ästhetik der Bar und mit einem Sperrholzbogen deutet er sie neu und erweitert sie um ein kontrastierendes Material. Zwei gegenüberliegende Spiegel wiederholen den Bogen bis ins Endlose. Als wollten sie Christian Hörlers Arbeit noch eins drauf setzen, laufen Dutzende gleiche Menschenpaare durch Heiden. Ein Schild klärt auf: Das Schweizerische Zwillingstreffen findet an diesem Wochenende statt. Die Szenerie kippt immer wieder ins Surreale. Wir suchen das Weite, und finden es in Oberegg. Das Kafi Anton glänzt mit grossartiger Aussicht. Auf der einen Seite schweift der Blick über das Rheintal zu den Bergen, auf der anderen Seite bis über den Bodensee. Im neugestalteten Café sind die Fenster als gerahmte Bilder inszeniert worden. Isabel Rohner ergänzt die vorhandenen Fenster mit weissen Tafeln zu einem Panoramafenster mit Leerstellen in der Landschaft.

Am nächsten Tag geht’s mit der Appenzellerbahn weiter. Zuerst nach Weissbad, zu einem weiteren à discrétion-Höhepunkt. Stefan Inauen hat das alte Schützenhaus nahe dem Weissbach in ein Zeichenkabinett verwandelt. Auf zwei Wänden, über Nischen und Fensterlaibungen hinweg zieht sich schwarz auf weiss ein Fries des Mystischen, Schönen, Niederen, Hintersinnigen, von Roland Scotti treffend als „visueller Bänkelgesang“ bezeichnet. Hier liesse sich ewig schauen. Aber auch Hörerlebnisse sind à discrétion möglich. Im Restaurant Stoss bringt Barbara Brülisauer einen Mammutbaum zum Sprechen. Freundlich, einladend, würdevoll erzählt er von sich und bringt selbst eine Gruppe rüstiger Wandrerinnen zum Innehalten, Denken und Rinde Streicheln. Auf dem Rückweg lohnt das „Hotel California“ von Emanuel Geisser einen Stop.

Im Appenzeller Hinterland ist die Krone Hundwil ein à discrétion-Muss. Vera Marke hat den Eingangsbereich des Gasthauses von alten Harassen befreit und eine Arbeit geschaffen, die dem Rokokosaal im ersten Stock eine würdige Ouvertüre ist. Ihre Fresken feiern die Malerei und ihre Verbindung zur Architektur.

Im Kunst-Menu locken noch viele weitere Gänge, in Herisau, in Stein, im Alpstein und anderswo. à discrétion wünscht einen guten Appetit!