Darf´s noch etwas mehr sein?

by Kristin Schmidt

Im Appenzellerland eröffnet am Sonntag „à discrétion“ – ein Ausstellungsprojekt, das Kunst in Beizen bringt.

Zum Beispiel der Adler in Herisau: Eine Beiz für Menschen mit grossem Hunger und fest getakteten Arbeitspausen. Die Portionen sind reichlich, die Wartezeiten kurz, die Decken niedrig, die Fenster klein und an den Wänden hängen … Sonnenuntergänge?! Ölgemälde von Sonnenuntergängen sind nicht das, was üblicherweise in eine Beiz im Appenzellerland schmückt, auch nicht den Adler. Gemalt und platziert hat sie Francisco Sierra. Er bricht damit gleich mehrere Tabus: Er verweist Sennenbilder vom Platz, holt artfremden Kitsch in die Gaststube und verleiht dem meisttrivialisierten Landschaftsmotiv künstlerische Ausstrahlung.

Sierra ist einer von 35 Kunstschaffenden, die seit 2002 einen Werkbeitrag der Ausserrhodischen oder der Innerrhoder Kunststiftung erhalten haben; Kunstschaffende, deren Werke in beiden Kantonen selten präsent sind, da Ausstellungsräume fehlen. Schon das Projekt «för hitz ond brand» machte im Jahre 2007 aus dieser Not eine Tugend und nutzte die bestehenden, meist historisch-ethnologisch ausgerichteten Museen für die zeitgenössische Kunst. Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler reagierten mit spezifischen Werken auf die Sammlungen der jeweiligen Häuser und sorgten für gute Dialoge, nicht nur zwischen den Werken, sondern auch beim Publikum. Nun nimmt „à discrétion“ den Faden wieder auf. Diesmal allerdings nicht in Museen, sondern in Wirtshäusern. Einst zum Nebenerwerb gegründet von Bauern, Bäckern oder Metzgern, dann ausgebaut mit Tanzsälen und Gastzimmern, steht heute manches Gasthaus leer. Andere konnten sich halten, manche sind zum Hotel herangewachsen, wieder andere haben sich ihre Ursprünglichkeit bewahrt.

Beizen sind Orte des Austauschs geblieben. Hier begegnen sich Wirtsleute und Gäste, Ausflügler und Einheimische und nun auch Kunstschaffende und ihre Besucher. Dreissig Künstlerinnen und Künstler sind der Einladung der Kunststiftungen gefolgt und präsentieren eigens entwickelte Arbeiten in selbst gewählten Gasthäusern. Darunter sind sowohl grosse, bekannte Gastronomiebetriebe, aber auch kleine, feine Beizen abseits der Hauptrouten. Ebenso vielfältig wie die Gastgeber sind die künstlerischen Positionen. Es gibt Interventionen, die so wirken, als seien sie immer schon da gewesen, die aber umso wirkungsvoller sind, wenn sie bemerkt werden, wie Christian Hörlers Einbauten in der Bar der Krone in Heiden. Es gibt passgenaue Stücke im Aussenraum etwa von David Berweger, ebenfalls in Heiden, oder von Thomas Stüssi und Nora Rekade, die auf der Ebenalp den Alpstein verdoppeln. Vera Marke hat nach umfangreichen Recherchen den Eingangsbereich der Krone in Hundwil neu ausgemalt und nimmt die Zierelemente der Rokokomarmorierung des Hauses wieder auf. Jeannice Keller und Peter Stoffel haben unabhängig voneinander das Thema der Fahne für sich entdeckt, einmal vor dem Schlössli in Appenzell und einmal auf der Ebenalp und dem Schäfler. Stefan Inauen renoviert das zur Grümpelkammer abgewertete Heim des Schützenvereins im Hof Weissbad und Barbara Brülisauer bringt einen Baum neben dem Stoss zum Sprechen. Fotografie, Plastik, Malerei, Video, Tischgespräch oder die Mental Sculpture wie von Karin K. Bühler – das Spektrum ist so breit wie das einer ausgewogenen Speisekarte. Damit möglichst viel davon genossen werden kann, hat die Projektgruppe hinter „à discrétion“ Tourenvorschläge erarbeitet. Ob mit dem Velo, zu Fuss oder mit Postauto und Bähnli – sie laden ein, sich auf den Weg zu begeben, um Gaumen, Augen und Hirn gleichermassen anzusprechen.

Darf’s noch etwas mehr sein?