Fragmente aus vielen Leben

by Kristin Schmidt

Das Frauenmuseum im vorarlbergischen Hittisau präsentiert mit «Frauennachlässe. Fragmente aus vielen Leben» eine Ausstellung in Kooperation mit der Universität Wien.

Schreiben Frauen anders? Schreiben sie gut? Dominieren Tagebücher, Liebensbriefe und Kochrezepte? Diese Fragen stellen sich nicht erst, seit es Gender-Diskussionen gibt: «Ihr Brief an mich hat mich wirklich überrascht. Einen so ungekünstelten, flüssigen Stil, den Schwung der Rede und die strenge Logik hätte ich bei einem Frauenzimmer im Bregenzerwald nicht gesucht», schrieb im 19. Jahrhundert der Empfänger eines Briefes der Vorarlbergerin Anna Katharina Felder.

War die Schreiberin eine Ausnahmeerscheinung? Alltäglich waren solche Zeugnisse aus Frauenhand sicherlich nicht in Zeiten, als höhere Bildung vor allem dem männlichen Teil der Gesellschaft zugänglich war. Und doch, es gibt sie schon bedeutend länger als den gleichberechtigten Zugang zu Schulen: tiefsinnige, intelligente und also lesenswerte Texte weiblicher Autoren. Lange Zeit waren sie allerdings einzig Eingeweihten oder Fachleuten bekannt, weil nur im Verborgenen privater Archive zu finden.

Es ist das Verdienst geschlechterspezifischer Archive, dieses Schriftgut seit einigen Jahren und Jahrzehnten zu suchen, zu bewahren und öffentlich zu machen. So feierte das Ostschweizer Archiv für Frauen- und Geschlechtergeschichte jüngst sein zehnjähriges Jubiläum. Und auch im Nachbarland ist man diesbezüglich aktiv: Seit 1991 wird am Institut für Geschichte der Universität Wien die Sammlung Frauennachlässe aufgebaut. Ein Teil davon ist nun in eine Ausstellung im Frauenmuseum Hittisau unter dem Titel «Frauennachlässe. Fragmente aus vielen Leben» eingeflossen. Das Spektrum der Exponate reicht von privaten und offiziellen Briefen wie etwa Kriegspost, Liebesschwüren und Glückwunschsendungen über Impfbestätigungen und Geschäftsbücher bis hin zum Gnadengesuch der Karoline Redler oder einem Schweizer Flüchtlingsausweis für eine KZ-Inhaftierte. Selbstverständlich fehlen auch Tagebücher und Kochrezepte nicht, aber Vermerke wie «Zwiebeln und Zitronen sind an allem gut, wenn mans hat und sonst isst mans doch eher» tragen eher zur Würze der Ausstellung bei als dass sie das Bild der schriftlichen Zeugnisse dominieren. So erfährt man beispielsweise, dass Tagebücher zur Dokumentation eines moralisch einwandfreien Lebenswandels anhalten und Frauen darüber hinaus auf privates Schreiben fixieren sollten.

Das Material ist der Ausstellung ist so durchdacht inszeniert wie der Ort selbst. Das Frauenmuseum ist eines jener architektonischen, zeitgenössischen Kleinodien in Holz, von denen es im Vorarlberg einige gibt – selten aber sind sie öffentlich zugänglich. Die zahlreichen Architekturpreise für das Gebäude sprechen für sich.

Selbst wenn die Architektur sehenswert ist, läuft eine Archivausstellung Gefahr zur unübersichtlichen Zettelsammlung zu verkommen. Da tut es gut, dass nicht jeder verfügbare Quadratzentimeter des mit unbehandelter Weisstanne ausgekleideten Saales genutzt wird, sondern mit Mut zur freien Fläche agiert wird. Und auch mit Gegenwartskunst: So sind in Hittisau drei Positionen zeitgenössischer Künstlerinnen zu sehen, die sich auf ihre Weise mit den Themen der Ausstellung beschäftigen, mit Erinnern, Vergessen, mit eigener und fremder Identität und der eigenen Vergänglichkeit. Die Vorarlbergerin Ines Agostinelli nutzt drei Fotografien aus dem Familienfundus als Ausgangspunkt einer fünfteiligen Installation, die den Betrachter mit fremden privaten Erinnerungen konfrontiert und ihm Projektionsflächen eröffnet.

Noch stärker ins Private geht die Liechtensteinische Künstlerin Sunhild Wollwage mit ihrer Wandinstallation «Ab- und Zufall». Seit zweieinhalb Jahren dokumentiert sie jeden Tag mittels ihrer Kompostabfälle, ihrer Blutdruck- und Pulswerte sowie eines Rings aus um den Finger gewickelten Haaren. Hier paart sich ein ausserordentlich intimer Blick mit einem überaus strukturierten, analytischen Vorgehen.

Architektur, Kunst und Archivalien: Ein Besuch des Frauenmuseums und der aktuellen Ausstellung lohnt sich also auch für jene, die der geschlechterspezifischen Ausrichtung eines Museums skeptisch gegenüberstehen.