Was wäre, wenn?

by Kristin Schmidt

Welchem Gerücht haben Sie geglaubt? Mit welchen Folgen? Was glauben Sie eher: Geschriebenes oder Gedrucktes? Haben Sie schon einmal bewusst ein Gerücht gestreut? Was hatte das für Folgen? – Gespräche über Gerüchte

Hans-Konrad Bruderer: Pfarrer, Heiden/AR – „Selbstverständlich, ein grosser Teil meines Lebes basiert auf einem Gerücht. Ich lebe davon, dass da ein Gott sei und das Gute über das Böse siegt.“ Die Gute Botschaft entspricht der Grundhaltung von Hans-Konrad Bruderer: „Ich bin ein blauäugiger Mensch in positiver Richtung.“ Darin hat auch Skepsis ihren Platz: „ Als Theologe lebe ich stark aus dem Buch und glaube eher dem Gedruckten. Gesprochenes kann Geschriebenes leicht verfälschen.“ Als Pfarrer – zuerst im zürcherischen Weisslingen, dann in Bellinzona, in Thal-Lutzenberg und seit 2009 in Heiden – hat sich Bruderer sowohl für als auch gegen Gerüchte entschieden. Er studierte zwar Theologie, hatte aber zunächst keine Ambitionen, den Pfarrberuf zu ergreifen: „Ich bin von dem Gerücht ausgegangen, dass ein normal eingestellter, mitteleuropäischer Mann nicht Pfarrer wird.“ Aber der Pfarrberuf erwies sich deutlich näher an der heutigen Lebensrealität, als Bruderer es sich zunächst vorgestellt hatte. Zugleich bietet er das Leben mit einer Vision: „Es geht das Gerücht um, dass da über der Welt noch etwas ist. Als Pfarrer habe ich das Verbreiten dieses Gerüchtes zu meinem Beruf gemacht.“

P. Hesso Hösli: Seelsorger in Walzenhausen und Spiritual des Klosters St. Ottilia, Grimmenstein, ab Oktober Kapuzinerkloster Rapperswil – „Bis ich ein Gerücht erfahre, ist es meist schon entlarvt.“ Pater Hesso Hösli, Seelsorger in Walzenhausen und Spiritual des Klosters St. Ottilia, Grimmenstein, erhält „Gerüchte nicht so leicht zugetragen“. Schliesslich sind Pfarrer besondere Vertrauenspersonen. In der Beichte kommt ihnen zu Ohren, was nicht in Umlauf geraten soll. Deshalb vermeidet der Pater in Gesprächen jegliche Andeutungen, die vermuten lassen, das habe er aus der Beichte erfahren. Hier liegt für ihn auch einer der Gründe des Zölibats: „So gibt es weniger Gelegenheiten etwas versehentlich zu erzählen, als wenn man eng zusammenlebt.“ Früher war Pater Hesso Hösli näher dran an der Gerüchteküche: Bis zu seiner Pensionierung unterrichtete er am Gymnasium Appenzell unter anderem Physik, Geologie und Mathematik und war zeitweise auch für die Jugendarbeit freigestellt: „Die Jugendlichen möchten die Erwachsenenwelt kennenlernen, stellen Vermutungen an, Gerüchte entstehen.“ Seltener hat er erlebt, dass Gerüchte willentlich und boshaft gesät wurden. Sein Credo war stets, die Jugendlichen zum Denken anzuregen, um selbst urteilen zu können: „Kann das sein?“

Julia Lanker: Wirtin, Zur Linde, Teufen – Gerüchte hört Julia Lanker viele, beim Bier reden die Gäste eben. Aber Verschwiegenheit gehört für die Linden-Wirtin in Teufen zur Berufsehre: Gerüchte weiterzuerzählen oder gar zu streuen ist für sie ein Tabu, denn „Gerüchte sind immer negativ.“ Dabei wäre es für Julia Lanker nicht einmal schwierig, den Wahrheitsgehalt des Erzählten herauszufiltern, schliesslich führen dreissig Jahre wirten zu grosser Menschenkenntnis. Aber sie hält sich lieber ans Positive: „Wenn ich gute Geschichten von Menschen über Menschen höre, bringe ich sie gerne zusammen.“ Die Wirtin freut sich über diese Zufälle. Sie ergeben sich und führen zu guten Begegnungen, zu neuen Gesprächen. Überhaupt verlässt sich Julia Lanker am liebsten auf das gesprochene Wort: „Ich telefoniere und rede lieber als Nachrichten zu versenden. So spricht man miteinander auf Augenhöhe und spürt die Stimmung beim Gegenüber.“ Eine Ausnahme gibt es aber doch: Julia Lanker versendet gerne Fotos per Smartphone, denn auch Bilder transportieren Emotionen.

Stefan Staub: Diakon, Pfarreileiter in der Gemeinde Teufen-Bühler-Stein, Seelsorger der Schweizer Armee – Stefan Staub ist Diakon, leitet die Pfarrei in der Gemeinde Teufen-Bühler-Stein, und kann sich gut auch Diakoninnen vorstellen: „Kürzlich wurde ein Gerücht gestreut, wonach Papst Franziskus künftig Frauen zu Diakoninnen weihen werde. Eigentlich weiss ich, dass ein derart radikaler Paradigmenwechsel unmöglich ist, aber mein Erstaunen und die Freude über diese `good news´ waren derart gross, dass ich sie spontan in eine Predigt eingebaut habe.“ Kaum war dieses Gerücht auf der Kanzel ausgesprochen, wurde Staub berichtigt, der Papst habe erst einmal das breite Gespräch zu diesem Thema eingesetzt. Trotzdem ist Staub lieber leichtgläubig als pessimistisch. Gerne setzt er ein positives Gerücht in Umlauf, „um die allgemein verbreitete pessimistische Sicht in unserer Gesellschaft ein klein wenig auszubremsen.“ Seit sechs Jahren ist er festangestellter Seelsorger der Schweizer Armee und beruflich oft im Ausland unterwegs. Da relativiert sich die Glaubwürdigkeit des Gedruckten: „Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass Papier viel annimmt. Die Wahrheit ist auch im gedruckten Wort nicht garantiert. In Irak zum Beispiel kann keinem Versprechen und keinem Vertrag wirklich geglaubt werden. Zu unsicher sind die Umstände und zu einschlägig die enttäuschenden Erfahrungen. Ich vertraue deshalb vor allem auf die menschliche Erfahrung und das innere Feingefühl.“

Ueli Vogt: Kurator, Zeughaus Teufen – Gerüchten glauben? Ueli Vogt kommt keines in den Sinn. Nicht, weil er sich nicht erinnern kann, sondern, weil er ein skeptischer Mensch ist: „Ich hinterfrage zuerst, was ich höre oder lese.“ Auf eine Sache verlässt sich der Kurator des Zeughaus Teufen dann aber doch: „Ich glaube oft den Literaturkritikern in der Zeitung und habe daraufhin schon manches Buch zu lesen begonnen.“ Bis zur letzten Seite hat er dann mitunter nicht durchgehalten – manchmal weicht das Urteil der Fachleute zu sehr vom eigenen ab. Der höheren Glaubwürdigkeit des geschriebenen Wortes tut dies keinen Abbruch: „Das Geschriebene ist nachzulesen, immer wieder… Das mündlich Weitergegebene hat manchmal Mundgeruch.“ Unangenehm wird es nicht immer, wenn Gerüchte im Spiel sind. Ueli Vogt hat sogar selbst eines gestreut: „Im Vorfeld unserer Ausstellung `Factory Teufen´ haben wir das Gerücht in die Welt gesetzt, Andy Warhol sei als Kind im Appenzellerland gewesen und von Hans Zeller gemalt worden.“ Damit hat Ueli Vogt der Kunstwelt eine Geschichte geschenkt; nicht um zu täuschen, sondern um das Denken zu öffnen: Was wäre, wenn…

Obacht Kultur Nr. 25, 2016/2