Das Bloch auf Reisen

by Kristin Schmidt

Einmal im Leben ein Bloch ersteigern – so gehört es sich für einen Urnäscher. Ueli Alder hat keinen Stamm ersteigert, zum «swiss guy with the tree» wurde er trotzdem. Die Geschichte beginnt 2011 in Urnäsch. Oder bereits viel früher? Seit 200 Jahren ist es Brauch, den letzten Fichtenstamm des Winters in einer Prozession von Urnäsch nach Herisau und wieder zurückzuziehen, um ihn anschliessend zu versteigern und Schindeln oder Möbel daraus zu fertigen. 2011 war alles anders. Damals sicherte sich das St. Galler Künstlerduo Com&Com den Zuschlag für den Bloch und verlängerte die Reise des gefällten Baumes. Nach Basel, Bern und Zürich ging es, nach Berlin, Shanghai und Singapur, nach North Dakota, Minnesota und Cincinnati. Und noch immer ist der Stamm unterwegs, sorgt für Begegnungen, hinterlässt Spuren und wird seinerseits mit Spuren versehen.

Ueli Alder fuhr mit dem Bloch quer durch Nordamerika, fotografierte es in Ohio und New York, vor dem Guggenheim Museum und auf dem Times Square. So wurde der Urnäscher Künstler zum «Schweizer mit dem Baum», dem Baum in der Stadt. Hier kontrastieren die organischen Formen des Stammes mit allem ringsum, mit jeder Linie, jeder Oberfläche. Inmitten der Reklame, Rücklichter, Reflexionen sind die Risse im Holz das einzig Zufällige. Selbst der Himmel und seine Spiegelungen in den Glasfassaden gerinnen zum Bild. Das Bloch ist auf seiner Weltreise in einer hochartifiziellen Umgebung angekommen. Aber liegen seine Wurzeln wirklich nur im fernen Europa, in einem Fastnachtsbrauch im Appenzeller Land? Da ist diese andere Fotografie: Zwanzig Männer ziehen einen Stamm auf einem Wagen durch das Monument Valley im Südwesten der Vereinigten Staaten. Ein Ofen qualmt, ein Reiter begleitet die Fuhre auf seinem Ross. Die Fotografie ist alt, verblichen, eingerissen. Ist sie echt? Ist das Motiv nachgestellt? Ist es digital manipuliert? Ueli Alder arbeitet mit analoger Fototechnik ebenso wie am Rechner. Er verwendet Verfahren wie Cyanotypie oder Anthotypie und konstruierte Bildserien aus bestehenden Fotografien verschiedener Herkunft. Daneben ist er immer wieder mit der historischen Grossbildkamera im Appenzeller Land unterwegs. Möglich ist vieles und das Bloch sorgt einmal mehr für Gesprächsstoff.

Obacht Kultur Nr. 25, 2016/2